Theater
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2016-05-10 Ballettbesprechung:

Eine Wiederbegegnung mit der Tanzkunst des Martin Schläpfer


Ovationen für Ballett am Rhein Düsseldorf/Duisburg beim Wiesbadener Gastspiel mit der Choreografie "7"
 
 
ape. Wiesbaden. Vor fast zwei Jahrzehnten wurde an dieser Stelle (= Kulturseite der Rhein-Zeitung; ape) die erste Ballettproduktion von Martin Schläpfer an einem deutschen Theater gewürdigt. Der damals hierzulande noch fast unbekannte Schweizer Choreograf hatte als Gast am Theater Koblenz seinen Doppelabend „Divertimento/Stabat mater” einstudiert – und die kleine Compagnie am Ort zu bis dahin ungeahntem Höhenflug geführt. In der allgemeinen Ballettgeschichtsschreibung ist diese Episode nicht vermerkt, denn nur das Publikum am Rhein-Mosel-Eck und nur der Tanzkritiker dieser Zeitung hatten staunend und tief bewegt registriert, dass sich da Großes anbahnt.



Am vergangenen Wochenende war Schläpfer mit seinem 38-köpfigen Ballett am Rhein Düsseldorf/Duisburg für zwei Abende zu Gast bei den Maifestspielen im Staatstheater Wiesbaden. Dort bestätigte die umjubelte Choreografie „7” zu Gustav Mahlers Sinfonie Nr. 7, dass der jetzt 56-Jährige längst zu den herausragenden Ballettkreativen Europas gehört. Schläpfers nicht immer geradliniger Weg in solche Höhen brachte ihn knapp zwei Jahre nach besagter Gastarbeit in Koblenz als Ballettchef ans Staatstheater Mainz. Dort bescherte er mit dem ballettmainz ein Jahrzehnt lang, bis 2009, der rheinland-pfälzischen Kultur einen ihrer ganz wenigen tatsächlich international beachteten Kunstleuchttürme unter den vielen bloß behaupteten.

Wiesbaden ließ sich jetzt für das hochkarätige Tanzgastpiel aus NRW nicht lumpen und stellte sein Staatsorchester als Live-Klangkörper zur Verfügung. Die Zusammenführung einer Choreografie und eines mit ihr nicht vertrauten Orchesters wäre ein hohes Risiko, hätte nicht Wen-Pin Chien die Stabführung inne. Er dirigiert seit der Uraufführung von „7” anno 2013 in Düsseldorf die normalerweise das Ballett begleitenden Duisburger Philharmoniker. Somit war angemessene Korrespondenz zwischen Bühne und Graben sichergestellt – und konnte der Schläpfer'sche Tanz sich in der ihm eigenen Hochkarätigkeit entfalten.

Aber was heißt schon Hochkarätigkeit. Ja, hier werden solistisch, in Kleingruppen und großen Ensembles teils höchste tanztechnische Schwierigkeiten temporeich und dicht in scheinbar spielerischer Leichtigkeit realisiert. Diese Arbeit greift mannigfach aufs neoklassische, sogar aufs klassische Figurenrepertoire zurück, baut mit Spitze, Halbfuß oder nackter Sohle auf maximale Akkuratesse und Elegance. Doch zugleich werden Figuren, Formationen, Ausdruck, Stimmung aus der Sphäre des historisierenden Manierismus wieder hinauskatapultiert – sei es durch Schläpfer-typische Spreizungen, Knickungen, Brechungen; sei es durch Einschübe fast volkstümlich polternder Passsagen in Wanderschuhen. Oder sei es einfach durch das künstlerische Ausdruckscharisma der Tänzer allesamt.

Denn Ballett ist Kunst, nicht bloß hübsch ausschauende Leistungsgymnastik. Schwarze Kostüme und nackte Haut dominieren das Bild auf der leeren, von silbrig schimmernden Lamellenwänden gerahmten Bühne. Nichts zählt als nur der Tanz, der pure Ausdruck der Körper. Die erzählen vom Sehnen nach Glück und von zeitweiser Glückseligkeit in Zweisam-, Dreisam, Viersamkeit. Doch wie in Mahlers Musik, so bricht auch in den Tanz oftmals mit Wucht das Unglück von Rekrutierungen, Aufmarsch, Krieg, Vertreibung, Selektion ein. Verlorenheit versus Geborgenheit, Zärtlichkeit versus Brutalität, gegeneinander kämpfen versus einander tröstend helfen: das waren Martin Schläpfers große Themen seit jeher; sie sind es bei „7” wieder, freilich in ganz anderer Reife und Tiefe.

Einige Tänzer, die wir schon in Mainz vom jungen Talent zu ausdrucksstarken Ballettkünstlern durften heranwachsen sehen, sind noch dabei. Etwa Yuko Kato, die groß gewachsene Julie Thirault oder das grandiose Kraft- und zugleich Sinnlichkeitspaket Marlúcia do Amaral. Bei der Uraufführung von „7” hatte auch noch Bogdan Nicula in tragender Rolle mitgewirkt. Der Primus des Ballett am Rhein und zuvor der beste Tänzer, den es in Rheinland-Pfalz je gab, erlag im vergangenen Jahr 34-jährig der ALS-Krankheit.

Andreas Pecht


(Erstabdruck/-veröffentlichung in einem Pressemedium außerhalb dieser website am 10. Mai 2016)


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