Ein Prosit auf den Eyjafjallajökull

Quergedanken Nr. 63

Asche auf mein Haupt! Bekennen muss ich, neulich politisch unkorrekt gefühlt zu haben. Als der Vulkan Eyjafjallajökull seinem sperrigen Namen mit ebensolcher Tat gerecht wurde, gedachte ich nicht mitfühlend gestrandeter Flugpassagiere und einbrechender Airline-Umsätze. Stattdessen glückseliges Jauchzen über das schönste Frühlingsfirmament seit Jahrzehnten: Jungfräuliches Blau von Horizont zu Horizont. Keine Spur jenes Netzes, mit dem fliegende Verbrennungskraftwerke sonst den Herrschaftsanspruch der Aero-Industrien über den Himmel dokumentieren. Zwischen Bonn und Köln, Frankfurt und Mainz, so hören wir, genossen Freunde das Ausbleiben des alltäglichen Terrors. Sie saßen vor Häusern, tranken dem Eyjafjallajökull zu und sangen: Es lässt die Natur einen kleinen Furz nur, fern im nördlichen Eis, gleich geht in den Sturz – wie Ikarus einst – die Moderne und kracht auf den Steiß.

Als neulich wieder Särge kamen vom Hindukusch her, darin die entstellten Leiber unsrer Söhne und Töchter. Als die Oberen vor den Kameras betroffen sprachen von den Gefahren bei der unvermeidbaren Verteidigung des hiesigen Vaterlandes am andern Ende der Welt. Da schämte ich mich für die Gewählten. Sie hätten besser abseits gestanden und still gebetet: Mea culpa, mea culpa, mea maxima culpa. Für die Jungen sei das Bekenntnis aus dem alten katholischen Ritus übersetzt: Durch meine Schuld, durch meine Schuld, durch meine übergroße Schuld. Während die Oberen so aber nicht beteten, kam mir Shakespeare in den Sinn: „Was ist Ehre? Ein Wort. Luft. Ehre ist nichts als ein gemalter Wappenschild beim Leichenzuge.“ Und ich dachte an Bert Brecht, der seinen Freund Karl Valentin fragte: „Was machen Soldaten in der Schlacht?“ Valentins Antwort: „Angst ham's“. Von da an ließ Brecht in seinen Stücken Soldatengesichter weiß schminken. Man sollte beim deutschen Afghanistan-Korps mit der Munition Weißschminke ausgeben. Das wäre die erste Ehrlichkeit in diesem Krieg.   

Als neulich Bischof Mixa sich erinnerte, vor Jahren doch Watschen in kindliche Gesichter geklatscht zu haben, dachte ich: Der Kerl gehört bestraft, wie alle Prügel“pädagogen“ schon damals hätten bestraft gehört und aus dem Verkehr gezogen. Auch jener Stadtpfarrer selig, der mit Schaum vorm Maul meinen Banknachbarn beim Kommunionunterricht mit dem dicken Katechismus windelweich drosch, weil der Bub Winnetou-Sammelbilder interessanter fand als Hochwürdens Geschwätz über Keuschheit. Indes hat Mixa leider recht mit dem Hinweis, dass seinerzeit Kindesmisshandlung allgemein als probates Erziehungsmittel galt. Weshalb die pauschale Vermengung von prügelnder Misshandlung und sexuellem Missbrauch in der aktuellen Diskussion wenig hilfreich ist, Perspektiven für die Eindämmung von Unzucht mit Schutzbefohlenen zu entwickeln. Nach der Polizei ruft sich's leicht, doch gegen Triebsteuerung ist sie kein Mittel. Die Missbrauchs-Prävention steht ganz am Anfang – weil das Problem über Jahrhunderte nur vertuscht, verschwiegen, verdrängt wurde.

„So ernst heute?“, platzt Freund Walter herein und bietet ein Bibelwort als Rausschmeißer an für die Kolumne zum Wonnemonat. Das geht so: „Der Arme und der Ausbeuter begegnen einander, der Herr gibt beiden das Augenlicht.“ Wo, bitte, soll da der Witz sein? Walter stöhnt auf und erklärt: „Dieser Spruch aus dem Alten Testament beweist, dass keineswegs alles wohl getan ist, was Gott angeblich tat/tut. Denn Armer und Ausbeuter bekamen zwar Augenlicht, aber sehend wurden sie dadurch nicht. Wäre es so, es gäbe heute weder Ausbeuter noch Arme.“  

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