Am Mittelrhein grassiert morbus prestissimus, Geschwindigkeitsrausch

Quergedanken Nr. 24

Mich schwindelt. Das Hirn rotiert unaufhörlich, kommt aber trotzdem kaum noch mit – bei der momentanen Flut von Richtungsänderungen und Grundsatzbeschlüssen auf den kleinen und großen Politikbühnen. Die TuS wackelt sich gerade mal die zweite Saison durch die Liga, schon ist ein neues Stadion beschlossen, schon ein Grundstück gefunden, schon das Genehmigungsverfahren auf der Expressschiene. Erstmal in Schwung und mit Adrenalin vollgepumpt, kann der Koblenzer Rat sich gar nicht mehr bremsen. Baurecht für Buga-Areal am Schloss erteilt. Wumms! Und was über Jahrzehnte nicht ging, plötzlich geht auch das: Eilverfahren zur Genehmigung der Buga-Seilbahn vom Eck hinauf zum Ehrenbreitstein auf den Weg gebracht. Rumms! Und das alles im Februar.

Wo nur ist sie geblieben, die mittelrheinische Gemütlichkeit? Hinweggerafft von Morbus prestissimus, dem Geschwindigkeitsrausch. Und der scheint ansteckend. Anders lässt sich kaum erklären, wieso der Mainzer Wirtschaftsstaatsekretär Kühn neulich in St. Goar ohne Vorwarnung das Publikum mit der Ankündigung überfallen konnte: Die Rheinquerung – oben drüber oder unten durch – kommt, und zwar bald. „Gell, do guckscht“, sagte in solchen Fällen einst das Äffle zum Pferdle als auch Schwäbisch noch Ausdruck für Betulichkeit war. Ei, wenn schon, denn schon: Warum den Schwung nicht nutzen und in einem Aufwasch den Bahnlärm im Welterbe-Rheintal beseitigen? Zweckverbandschef Günter Kern hat doch jüngst die Lösung skizziert: Eine neue Bahntrasse außerhalb des Rheintals. Die schöne Idee hat indes eine unschöne Kehrseite: Die Höhenbewohner würden sich bedanken für den quietsch-lebendigen Neunachbarn.

Ein Vorschlag zur Güte: Die Bahn aufhängen. ??? Ja doch, Sie haben richtig verstanden: hängen, an ein Seil. ??? Nein, nicht den Herrn Mehdorn – seine Waggons. ???  Die Technik ist doch dann bereits da; steht in Koblenz. !!! Richtig: Die Buga-Seilbahn muss bloß um 90 Grad gedreht und um ein paar Kilometer verlängert werden, schon hat man eine schnurrig-leise Güterschwebebahn. Vom Eck zur Festung darf sie in Koblenz ja sowieso nicht hängen bleiben, weil sonst 2014 als letzte Nachhaltigkeitswirkung der Buga die Aberkennung des Welterbestatus bliebe. ??? Sie meinen, dann käme das übrige Welterbe in Gefahr? Muss nicht. Denn der Unesco kommt es auf ungestörte Blickachsen an – weshalb ja die Brücke in St. Goar eher ein Tunnel wird. Für die Schwebebahn hieße das: Hoch genug droben am Hang aufhängen, ordentlich mit Grün tarnen, dann geht´s.   

Utopie? Ach was. Man muss groß denken in diesen Zeiten. Richtig groß! Unsere Kanzlerin will Deutschland zur Speerspitze Europas machen. Frankreichs Präsident ruft gleich eine neue Grande Revolution aus. Die Amerikaner wollen sogar das Universum umbauen und dem Planet Erde einen Saturnring aus 10 Billionen Spiegeln verpassen. Das alles wegen des UN-Klimaberichtes. Da werden wir am Mittelrhein doch ein Schwebebähnchen auf die Reihe kriegen. „Jetzt ist es aber genug mit dem Unfug!“, platzte mir Freund Walter am Morgen nach Aschermittwoch in die querdenkerische Vorarbeit. Obwohl auch 24 Stunden Schlaf ihm die Folgen seiner alljährlichen Geheimtour de Carnevale nicht vollends aus Kopf, Gesicht und Leib getrieben hatten, konnte er beim Stichwort Klimaschutzpolitik doch kaum an sich halten.

 „Sprüche, Sprüche, keine Taten“ donnerte er – das Pariser Lamento des gelähmten Heinrich Heine angesicht der unerreichbaren Reize der geliebten Mouche variierend. Was die Idee der Amis vom Spiegelring angeht, der das Erdklima durch Reflektierung des Sonnenlichts retten soll: Die ist so dämlich, dass der Freund zwei doppelte Espresso und eine Wasserflasche lang um Fassung ringen musste. „Wenn unsere transatlantischen Freunde ein bisschen rechnen können“, brummte er schließlich, „werden sie merken, dass zur Herstellung von 10 Billionen weltraumtauglichen Spiegeln nebst der Produktion etlicher Tausend Raketen mitsamt Treibstoff, sie ins All zu schießen, mehr Energie aufgewendet werden müsste, als alle derzeitigen Kernkraftwerke auf Erden in 50 Jahren liefern könnten.“ Wieder auf dem Weg ins Bett murmelt er vor sich hin: „Rechnen können die das wahrscheinlich: Aber kapiert Bush, was unterm Strich rauskommt?“

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