„Leonce und Lena” am Theater Koblenz: bezaubernd und ärgerlich

Rätselhaftes zwischen schönen Bildern

ape. Koblenz. Kann man aus dem Theater kommen, vom Gesehenen bezaubert und zugleich verärgert? So etwas gibt es – und ist uns jetzt am Theater Koblenz widerfahren bei Matthias Schönfeldts Inszenierung des Lustspiels „Leonce und Lena” von Georg Büchner. Die Verärgerung hat weniger damit zu tun, dass der knapp zweistündige pausenlose Abend als vorgezogener Beitrag zum Dada-Jahr 2016 gedeutet werden könnte. Sie rührt vielmehr daher, dass Zuseher, die das Stück nicht kennen, völlig verloren sind; und selbst Stückkundige nur wenig begreifen.

Die Geschichte vom Prinzen des Königreichs Popo, der mit einer ihm unbekannten Prinzessin von Pipi zwangsverheiratet werden soll, birgt jede Menge Spott auf Romantikduselei und idealistische Philosophie sowie Brandmarkung dekadenter Feudalherrschaft. Gleichwohl hat die märchenhaft-expressionistische Anlage von Büchners einziger Komödie viele Regisseure gereizt, daraus ein absurdes bis nihilistisches Spiel zu machen.
2013 war das Stück am Theater Bonn als Mix aus Comedy-Musical-Revue und Absurditäts-Happening zu erleben. Allerdings hatte sich die Regie dort noch einigermaßen an den Handlungsrahmen gehalten, der die Büchner'sche Gedankenwelt trägt. Anders Schönfeldt jetzt in Koblenz: Hier bleiben von der Geschichte bloß ein paar sehr vage Andeutungen. Das hat die fatale und eben verärgernde Folge, dass die ganze Philosophiererei haltlos in der Luft hängt und sich kein verstehbares Ganzes ergibt.

Woher kommt dann die bezaubernde Wirkung des Abends? Vom ausgezeichneten Mimenspiel, von der Poesie etlicher Szenen, von einfallsreichen Frechheiten und knuffigen Albernheiten. Dass hier ein Opernregisseur am Werk ist, merkt man primär nicht an den atmosphärisch treffenden Geräusch- und Musikingredienzien, die Caroline Siegers live beifügt. Derartiges ist heute an allen Schauspielhäusern, bisweilen im Übermaß, Usus. Es sind vielmehr Posen, Stellungen, Gestik, die Spielweise des auf fünf Personen reduzierten Ensembles schlechthin, die dem Opernfach entlehnt scheinen.

Dazu gesellen sich Ausfälle nach Manier der Commedia dell'arte. Dann wird gekrischen, gefeixt, gerungen, gefummelt, in den Hintern getreten. Da spintisiert sich Ian McMillan als gelangweilter Leonce heiße Begegnungen mit einer nur im Geiste anwesenden Rosetta zusammen, indem er deren Beine auf eine Papierwand malt und den Kopf dazwischen steckt. Da verschwindet Raphaela Crossey als fabelhaft kiebige Gouvernante mit dem herrlich knochentrockenen Narren im Spiel (Reinhard Riecke als Valerio) zum Lustgestöhn', während die reizende Lena von Georgia Lautner mit Leonce turtelnd herumtollt, um sich alsbald zu ergeben.

Jochen Hochfeld hat zwei Bühnenbilder gebaut. Ein schmales, aber hohes Brettl ganz vorne; an den Seiten von bald zerrissenen papierenen Säulen gesäumt; mittig von einem Wolkenprospekt begrenzt; drüber ein Gerüst, wo ein Laufband Personen wie Sachen anfährt. Dies symbolisiert die Enge der Reiche Popo und Pipi, wo Leonce und Lena abwechselnd mit ihrer anstehenden Zwangsverheiratung hadern. Dahinter öffnet sich, sobald die beiden ihrem Schicksal durch Ausbüxen zu entkommen suchen, der weite, mit roten Tüchern zu einer Art Arena geformte Bühnenraum.

Am Ende mutiert die Inszenierung gar zum Puppenspiel, bietet Jona Mues als offen agierender Figurenführer von König, Minister, Lehrer, Bauern in Kaktusform ein Kabinettstückchen sprecherischer Wandelbarkeit. Bleibt als Resümee: Es gibt viele bezaubernde Momente zu sehen, aber herzlich wenig Büchner zu verstehen.
               
Andreas Pecht

 

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