Kritiken Theater
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2008-03-17 Schauspielkritik:
  
Die große Wut an der
"Endstation Sehnsucht"

Der Klassiker von Tennessee Williams versinkt
am Theater Koblenz in überlauter heroischer Tragik
 
ape. Koblenz. Am Anfang zerrt die Dame ihren Überseekoffer in ein ärmliches Viertel von New Orleans. Die Umgebung irritiert sie. Am Ende verlässt sie am Arm eines Psychiaters diese Welt, die ihre nicht werden konnte. Sie ist vollends wahnsinnig geworden. Sie, das ist Blanche DuBois, tragische Hauptfigur in „Endstation Sehnsucht“.  Das große Drama von Tennessee Williams, 1947 uraufgeführt, hatte jetzt am Stadttheater Koblenz Premiere.
 
Die Meinungen über Werner Tritzschlers Inszenierung gehen weit auseinander. Lautstarker Beifall da, Kopfschütteln hier. Einhellige Zustimmung erfährt bloß Karel Spanhaks Bühnenbild: Eine aus halbtransparentem Wellplastik gezimmerte Wohnanlage, die per Drehbühne und Videoprojektion auf Deckensegel bald ihre triste Außenseite, bald das nicht minder triste Innere einer Kleinstwohnung zeigt. Ein Provisorium, erinnernd an die Provisorien, in denen die Armen von New Orleans seit der jüngsten Flutkatastrophe hausen.

Von Lektüre, Film und anderen Inszenierungen kennen wir Blanche als nervöses, verstörtes, fragiles Wesen. Als Frau, die aus dem Nest großbürgerlicher Gediegenheit fiel, nun krampfhaft die alten Verhaltensmuster aufrechterhält, obwohl ihr Leben quasi in der Gosse angekommen ist. Eine Rolle, die nach vielschichtiger, empfindlicher, verletzlicher Darstellung verlangt. Nach einer schwachen Frau, die sich fortschreitend in ein Lügengespinst flüchtet, an das sie selbst glaubt.

Madeleine Niesches Spieltalent liegen Schwachheit und leise Verletzlichkeit nicht. Wo sie verzweifelt, tut sie es mit großem, bühnenfüllendem Gestus; selbst ihr Zerbrechen trägt meist Züge heroischer Tragik. Und damit ist die Blanche in Koblenz unübersehbar falsch besetzt. Überhaupt kann es nicht angehen, einer Schauspielerin fast alle weiblichen Hauptrollen der großen Sprechtheaterproduktionen aufzuladen. Johanna, Shen Te, Medea, Elisabeth, Lulu…, jetzt die Blanche: Was soll die Frau, die zugleich Chefdisponentin des Theaters ist, denn noch alles können?

Der dreistündige Abend ist eine typische Tritzschler-Inszenierung. Sie erzählt vom Eindringen Blanches in die ärmliche und schlichte, aber glückliche Zweisamkeit zwischen deren Schwester Stella (Patricia Schäfer) und Stanley (Christoph Zadra) in Form einer Reihung wütender, gewalttätiger, hysterischer Eskalationsmomente. Tritzschlers „Woyzeck“ war besser; für die gegenwärtigen Maßstäbe am Koblenzer Theater mag „Endstation Sehnsucht“ immerhin als Arbeit mittleren Niveaus durchgehen.

Nun ist Koblenz allerdings keine autarke Insel fernab der Welt, sondern Großstadt auf halbem Weg zwischen Köln-Bonn und Rhein-Main. Mithin gehört auch sein Stadttheater zur Bühnenszene dieser Großregion. Legte man aber jene Maßstäbe an, mit denen gewöhnlich die Theaterarbeit in Bonn, Mainz oder Wiesbaden bewertet wird, das Urteil über die Realisation des Williams-Klassikers in Koblenz fiele sehr ernüchternd aus. 

Hitze und lastende Schwüle sind herausragende, spielprägende, unbedingt mitzuinszenierende Atmosphäre-Elemente des Stückes. Bloß einen  Design-Ventilator blasen zu lassen, reicht da beim besten Willen nicht hin. Oder: Die zentrale Beziehung zwischen Blanche und Stanley bildet ein kompliziertes Geflecht aus kaum bewussten Ängsten wie Lüsten unter der Oberfläche sozialer Verwerfung. Warum rastet Stanley am Pokerabend aus? Die Lektüre erst macht es deutlich, die Inszenierung nicht.

Schließlich wieder das Geschrei, das auf dieser Bühne allfällig bemüht wird wie sonst weit und breit nirgends. Schreien ist eben  bloß ein Ausdruck von vielen für intensive Gefühle. Im wahren Leben würde jemand, der ständig nur lauthals lospoltert, als Choleriker bezeichnet. Warum sollte das im Theater anders sein? Tritzschler kann auch leise, wie ein paar dichte Augenblicke etwa zwischen Blanche und Mitch (Maximilian Laprell) an diesem Abend beweisen. Nur gehen die leider unter in der heroischen Tragik des offenbar sehr zornigen Regisseurs.                            Andreas Pecht

(Erstveröffentlichung  18. März 2008)

Theater Koblenz, Kritik, "Endstation Sehnsucht", Regie: Werner Tritzschler
 
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