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2009-09-24a Romankritik: | |
"Die Erfindung des Lebens“: Ein leiser, schöner autobiografischer Roman Die eigentümliche Vita des Hanns-Josef Ortheil |
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ape. Stumm
ist das Kind. Geboren bald nach dem Krieg. Da waren seine vier
Geschwister schon tot und die Mutter verstummt. Stumme Mutter, stummes
Kind, wie verwachsen miteinander. Zurückgezogen in einer Kölner
Wohnung. Manchmal am Rhein-Ufer ruhend; sie mit Buch, der Junge die
Schiffe bestarrend. Gelegentlich Besuche bei der Verwandtschaft im
Westerwald, derjenigen der Mutter und derjenigen des sorgenvoll
liebenden Vaters. |
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Johannes
heißt das Kind, Hanns-Josef Ortheil der Autor, der im Roman „Die
Erfindung des Lebens“ dessen Geschichte ausbreitet. Johannes,
Hanns-Josef: Wie Variationen eines Musikthemas stehen die Vornamen
nicht zufällig einander nahe. Autor und Kind sind die gleiche Person,
auch wenn im Buch nicht ausdrücklich die Rede davon ist, dass der
Schriftsteller Stadtschreiber in Mainz war und außer dem noch jungen
Koblenzer Literaturpreis viele alteingesessene Auszeichnungen
allüberall erhalten hat. Der Roman zeigt den Autor als Mittfünfziger in Rom die eigene Biografie schreibend. Es ist eine große, sehr persönliche Erzählung über die Entwicklung vom stummen Kölner Kind zum sprechenden Westerwald-Jungen, zum pianistischen Jugendtalent in Rom, zum Wanderer in allen Landen, zum gereiften Schreiber im Westerwald und nach Jahrzehnten auch wieder klavierspielenden Autobiografen erneut in Rom. Dort in der ewigen Stadt, seiner bislang letzten Lebensstation, dürfen ihn begleiten. Wir dürfen zuschauen, wie er sich erinnert an all die Aufbrüche, die jeder für sich eine Befreiung war. Befreiung von der Stummheit durch Loslösung von der ängstlichen Behütung durch die Mutter. Das leitet der Vater ein, indem er das Kind in die Natur mitnimmt, ihm eine Bubenzeit in der tätigen Gemeinschaft einer westerwälder Landwirtschaft mit Gasthof ermöglicht. Befreiung von der ängstlichen Ziellosigkeit nach schwerer Schulzeit. Das leitet Johannes selbst ein, durch Flucht nach Rom, durch Eigenständigkeit, Klavierstudium und erste große Liebe dort. Befreiung von der Depression, die das plötzliche Ende der Pianistenlaufbahn hervorrief. Den Anfang hiervon und den Beginn des Schriftstellerlebens markiert die Rückkehr zu den Eltern in der deutschen Provinz. 30 Jahre später wieder in Rom, wo wir nun auch dabei sein dürfen, wenn er neben dem erinnernden Schreiben neues Leben lebt: Sich mit Nachbarin Francesca anfreundet, deren Tochter Marietta am Klavier unterrichtet, das Wiedereintauchen in die italienische Art genießt. Und wir sehen, wie Erinnern an damals und Leben heute eng miteinander verbunden sind, sich gegenseitig inspirieren. Interessiert das alles? Auch dann noch, wenn man nicht dem Voyeurismus gegenüber intimen Bekenntnissen von Prominenten anhängt? Ja, denn diese Autobiografie ist ein Stück Literatur, die in ihrer eigentümlichen Weltbetrachtung durch die Augen und entlang der Vita eines eigentümlichen Menschen für sich selbst stehen kann. Ob erfunden oder von Herrn Ortheil erlebt, darf dem Leser egal sein: Das Schicksal von Johannes packt, Ortheils meist unaufgeregt genaue, sprachlich klare Beobachtung von dessen Wahrnehmung wie Erleben fasziniert. Und einmal mehr schärft diese Literatur die Sinne für viele Geheimnisse, die mitten in der Banalität des Alltäglichen ihrer Entdeckung harren. Andreas Pecht Hanns-Josef Ortheil: Die Erfindung des Lebens; Luchterhand, 590 Seiten, 22,95 Euro |
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