Kritiken Theater | |||
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2009-09-27a Ballettkritik: | |
Anthony Taylor und die Tanzcompagnie des Stadttheaters Koblenz betören mit „Sind wir Helden?“ Koblenz erlebt ein kleines Ballettwunder |
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ape. Koblenz. Während
die rheinland-pfälzische Tanzszene noch gespannt auf den Mainzer
Einstand von Martin Schläpfers Nachfolger Pascal Touzeau und seinem
neuen ballettmainz wartet, legt das Stadttheater Koblenz mit
einer großen Überraschung vor: Der zweiteilige Abend „Sind wir
Helden?“ zu Kompositionen des Minimalisten Philip Glass wurde jetzt bei
der Premiere als kleines Ballettwunder bejubelt. In der Tat ist es
lange her, dass Koblenz Tanz auf derart hohem Niveau bot; falls
überhaupt jemals. |
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Rechnen konnte man damit nicht unbedingt, denn im Gegensatz zu Oper und Schauspiel wurde die Tanzsparte mit Beginn der Intendanz von Markus Dietze personell nicht völlig umgekrempelt. Im Gegenteil: Die Compagnie ist die gleiche wie im Vorjahr, der Choreograph mit Anthony Taylor derselbe wie seit 27 Jahren. Zwar hatte Taylor auch unter den vorherigen drei Intendanten immer wieder mal mit unerwarteten Aufbrüchen erstaunt. Jetzt aber legte er eine Arbeit vor, die der langjährige kritische Beobachter ruhigen Gewissens als ein spätes Meisterwerk bezeichnen kann. Dies nicht allein der inspirierten choreographischen Qualität wegen: Die verbindet hier jugendlich frischen Anmut mit altersweisem Verständis für die Ambivalenzen menschlichen Liebessehnens zu einem Tanzen auf der Höhe des zeitgenössisch neoklassischen Balletts. Ebenso sehr verblüfft, überzeugt, betört der Reifesprung, den die 14 Tänzer/innen in nur drei Monaten einzeln und vor allem als Ensemble in Tanztechnik und beim Ausdruck gemacht haben. Der in kühler Helligkeit ausgeleuchtete Rechteck-Horizont ganz hinten schafft dem Tanz zu Glass' Violinkonzert von 1987 einen tiefen, neutralen und doch auch elegant wirkenden Bühnenraum. Dahinein setzt Taylor eine Choreographie, die zwar keiner erkennbaren Handlung folgt, aber dennoch von emotionalen Beziehungen handelt. Mal ist es die hohe Musikalität in Körperdynamik und fließend wechselnden Formationen, die aus dem Aufgreifen und eigenständigen Interpretieren von Kompositionsstrukturen Passagen reiner Ästhetik formt. Dann wieder verdichtet sich diese abstrakte Schönheit zu Bildern über menschliche Beziehungen. Taylors ewiges Thema vom Suchen, Ertasten, Erproben der Liebe findet hier neuen Ausdruck und neue Tiefe – gipfelnd in einem Grande pas de deux erst von Charisse Kim Sing mit Michael Jeske, dann von Irina Golovatskaia mit Alexey Lukashevich. Zärtlich bis triebhaft, hingebungsvoll bis fordernd, zweifelnd bis vertrauend durchmessen die zentralen Paare das Reich des Herzens – derweil das Ensemble das auf- und abschwellende Vorwärtstreiben des gewöhnlichen Lebens andeutet. Ein Ballett von berückender Intensität. Daran nicht unwesentlich beteiligt sind die Kostüme Martina von Holns, der auch die Bühnenbilder zu danken sind. Im ersten Abendteil erweitern sie mit individuell genau abgestimmter, klarer Farbgebung Musik und Tanz zum Gesamtkunstwerk. Im zweiten Teil stützen sie zur Heroes Symphony (1992) von Glass mit ballettgerecht gearbeiteten Jugend-Outfits den Aktualitäts-Anspruch der Choreographie. Zentrales Requisit ist nun eine schwarze Mauer auf schwarzer Bühne. Die Mauer hat zwei besondere Eigenschaften: Sie ist horizontal drehbar und sie ist durchlässig. Bald bleibt sie Hintergrund, bald teilt sie wuchtig die Welt – bald aber durchdringen Hände, Köpfe, Leiber sie. In den 1970ern trotzte ein Liebespaar mit täglichen Stelldicheins dem düsteren Schatten der Berliner Mauer. Davon wurde das Musikstück inspiriert, jetzt auch das Koblenzer Ballett: Seine Tänzer überwinden mal mit tiefernstem, mal mit vor Lebensfreude sprühendem Ausdruck alles Trennende und Bedrückende der Gegenwart. In diesem Sinne sind sie Helden. Frauen finden zu starker Gemeinschaft, verständige Männer ebenfalls. Bald auch finden sie zueinander, in Gruppen, Paaren, in Freundschaft oder Liebe. Und wer diese kaum bloß in symbolhaften Figuren, sondern reihum mit beseeltem Tanzausdruck vorgetragene Botschaft nicht gleich versteht, dem hilft das T-Shirt eines Tänzers. Darauf steht: „Fuck the crisis!“ Selten führte ein Bühnenereignis in so erfreulicher Drastik vor Augen, wie stark die Atmosphäre in einem Theater das künstlerische Schaffen beeinflusst. Und: Was machbar ist, wenn das Ballett als Kunst von eigenem Wert geschätzt wird, man ihm Raum lässt und es nicht länger mit Hilfsdiensten für die anderen Sparten überfrachtet. Im Sport würde man das daraus erwachsene Ergebnis so beschreiben: Eine Mannschaft auf dem besten Weg zum Aufstieg. Andreas Pecht Infos: www.theater-koblenz.de (Erstabdruck am 28. September 2009) Anthony Taylor, Ballett Theater Koblenz, "Sind wir Helden?", Kritik |
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