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2009-11-27 Feature/Analyse: | |
Volkshochschulen: Massenbewegung für Erwachsenenbildung im Wandel - Eine Betrachtung am Beispiel Koblenz Millionen lernen freiwillig in der VHS |
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ape. Am
Mittelrhein gibt es heute in fast jeder Stadt und Verbandsgemeinde eine
„VHS“. Dies Kürzel muss nicht eigens erklärt werden, es ist seit vielen
Jahren im Sprachgebrauch verankert. Ob in Andernach, Neuwied,
Montabaur, Koblenz, Mayen oder Boppard, ob in Plaidt, Weißenthurm,
Bendorf, Lahnstein oder andernorts: Die Menschen wissen allenthalben,
VHS meint „Volkshochschule“ – meint eine Institution am Ort, bei der
man was lernen kann, auch wenn man nicht mehr in die Schule geht. |
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75 Mitgliedsschulen zählt der VHS-Verband Rheinland-Pfalz. Die bieten 25 000 Kurse und Veranstaltungen jährlich, zählten dabei zuletzt 400 000 Teilnehmer. Allein auf die VHS Koblenz entfielen davon 1200 Kurse/Veranstaltungen mit 18 000 Besuchern. Da strömen also Hunderttausende - bundesweit Millionen - in Seminare, Workshops, Vorträge. Da drücken junge Erwachsene, Berufstätige, Arbeitslose, Rentner in der Freizeit wieder die Schulbank; und das ganz freiwillig. Dieses Massenphänomen wollten wir etwas näher betrachten, haben uns deshalb mit Nicole Kuprian verabredet. Die gebürtige Westfälin ist seit Ende 2006 Direktorin der VHS-Koblenz. Ein Spätnachmittag im November, es dunkelt bereits. Im Gebäudekomplex Hoevelstraße 6, den sich die VHS mit der städtischen Musikschule und dem Kommunalen Studieninstitut teilt, herrscht reges Getriebe. Das beginnt um 8.30 Uhr, endet um 22 Uhr; Stoßzeiten sind Vormittag und Abend. In der Früh, weiß Kuprian, wird die VHS hauptsächlich von Rentnern frequentiert und von Elternteilen, die die Schulzeit ihrer Kinder nutzen, um selbst etwas zu lernen. In den Abendstunden kommen dann überwiegend Berufstätige, nehmen nach ihrem Feierabend das Angebot in Anspruch. Breit gefächertes Programm Und was steckt da drin? Beim Blick ins Programm möchte man ausrufen: alles. Theorie und Praxis sämtlicher Künste und Kunsthandwerke, Geschichte und Zeitgeschehen, Philosophie, Pädagogik und Psychologie. Dazu Praxisseminare über allerlei der Gesundheit und dem Lebensgenuss zuträgliche Techniken vom Yoga übers Fitnesstraining bis zum Kochkurs. Dazu ein breites Spektrum beruflicher Weiterbildung: Beim Computerkurs beginnend, bei Finanzbuchführung oder dem Erwerb eines Haupt- oder Realschulabschlusses noch nicht endend. Schließlich der ewige Renner bei allen Volkshochschulen: Fremdsprachen. Deutsch für Neudeutsche und Nichtdeutsche. Fürs übrige Publikum Englisch, Französisch, Spanisch, Italienisch, aber auch Russisch, Chinesisch, Arabisch...; für Anfänger, „Aufwärmer“ oder Fortgeschrittene. Mal auf Nutzer zugeschnitten, die bloß im Auslandsurlaub ein bisschen mit den Einheimischen plauschen wollen, mal mitsamt Prüfung nach zertifiziertem Cambridge-Standard für Profi-Sprech im internationalen Geschäftsverkehr geeignet. Schöne Überraschung am Rande: Hier wird auch noch die „Sprache aller Sprachen“ gelehrt – Latein. Die vielfältigen Zuschnitte der Kurse sind das Echo auf ganz unterschiedliche Motivationen für den Besuch der VHS. Nicole Kuprian erzählt von Rentnern, die sich im Alter gönnen, wofür ihnen zuvor Zeit und Gelegenheit fehlte: Kreatives Schaffen, geistige Abenteuerreisen zu neuen Horizonten. Sie erzählt von Menschen aller Altersklassen, die Bildungserwerb als Wert an sich und persönliche Lebensbereicherung betrachten; oder die ein erfüllendes Hobby suchen. Dies ist der eine Teil der VHS-Klientel. Der andere besteht aus jenen, die vor allem der beruflichen Weiterbildung wegen kommen. Diesem Segment wird zum Leidwesen vieler VHS-Direktoren in den letzten 20 Jahren deutschlandweit zusehends primäre Bedeutung zugemessen. Ursprünglich nicht im Dienste der Marktnützlichkeit Doch die Gründer der Volkshochschulbewegung hatten an für den Arbeitsmarkt relevante Nutzeffekte gar nicht gedacht. Die Ursprünge der Volkshochschulen sind im 19. Jahrhundert zu suchen: bei den Arbeiterbildungsvereinen, die in den Industrierevieren von Gewerkschaften und SPD betrieben wurden; in anderen Gebieten bei Lese- und Gesprächszirkeln der Kirchen; bei Vortragsreihen von Bürgervereinigungen, die wissenschaftliche Themen auch nicht-akademischem Publikum zugänglich machen wollten. Diese breite Bewegung fand in der Verfassung der Weimarer Republik ihren Niederschlag. Darin wurde festgeschrieben, dass die Volkshochschulen von Reich, Ländern und Gemeinden zu fördern sind. In den Jahren der ersten deutschen Demokratie erlebten die Volkshochschulen ihre bis dahin weiteste Verbreitung. Ein Vorläufer der VHS-Koblenz wurde 1919 gegründet und existierte als ehrenamtlich geführte, mit sehr spärlichen Kommunalmitteln unterstützte Einrichtung bis 1928. Was deren Zweckbestimmung angeht, zitiert Kuprians Amtsvorgänger Dietrich W. Röllinghof in einem Aufsatz zum 50. Geburtstag der Koblenzer VHS 1997 einen Zeitungskommentar aus dem Jahr 1919: „Je mehr die Mechanisierung des Wirtschaftslebens fortschreitet, um so dringender brauchen wir Volkskultur, die dem fast entseelten Körper neues, wahres Leben geben soll.“ Dieses Zitat zeugt von einem Bildungsideal, das ursprünglich in den Volkshochschulen geradezu ein Gegenwicht sah zur Funktion des Menschen als bloßem Wirtschaftsfaktor. Geistige, seelische, kulturelle Förderung der humanen Individualpotenziale von Erwachsenen, darum sollte es in erster Linie gehen – nicht um ihre Optimierung für Arbeitsmarkt und Beruf. Das ist mit Aufbau der Volkshochschulen nach dem Zweiten Weltkrieg, besonders aber in den jüngsten beiden Jahrzehnten anders geworden: Kulturelle und berufsorientierte Erwachsenenbildung stehen im Selbstverständnis der modernen VHS gleichwertig nebeneinander. "Softskills" fälschlicherweise unterschätzt Wobei Nicole Kuprian kein Geheimnis daraus macht, dass die „Softskills“ der „nur“ kulturellen und persönlichkeitsbildenden Disziplinen heute vermehrt im öffentlichen Ansehen einen schweren Stand haben gegenüber den berufsorientierten Fächern. „Völlig zu Unrecht“, sagt die VHS-Direktorin mit Nachdruck, und verweist auf Erkenntnisse über die herausragende Bedeutung sozialer, kultureller, kreativer Kompetenzen einer Persönlichkeit auch fürs Berufsleben. Ein Thema, über das man lange reden könnte. Wir fragen noch schnell nach den Baumaßnahmen im Haus. „Dank Konjunkturpaket kriegen wir im Keller drei neue kleine Kursräume.“ Die werden dringend benötigt, denn der Platzbedarf ist so groß, dass viele Kurse der Koblenzer VHS in den Räumen von Grundschulen und Gymnasien stattfinden. Ein Prinzip, das bei den meisten Volkshochschulen der Umgebung anzutreffen ist. Daher rührt vielfach auch die Orientierung der Kurszeiten und Semesterstruktur der VHSn an Schul- und Ferienzeiten. In Koblenz beginnt das nächste VHS-Semester am 22. Februar, die neuen Programme dafür liegen vom 16. Januar an gedruckt und im Internet vor. Andreas Pecht Infos: ∇ www.vhs-koblenz.de Volkshochschulen der Umgebung über Website des VHS-Landesverbandes: ∇ www.vhs-rlp.de (Erstabdruck Woche 49 im November 2009) |
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