Kritiken Theater | |||
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2011-03-11 Schauspielkritik: | |
„Nathan der Weise“ am Schlosstheater Neuwied: Brandaktueller Klassiker grundsolide gespielt Lessings Leitkultur ist Menschlichkeit |
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ape. Neuwied. Es
ist zum Verzweifeln. Das Stück hat 235 Jahre auf dem Buckel, aber in
der realen Welt konnte seither keines der behandelten Probleme
beseitigt werden – obwohl Gotthold Ephraim Lessing in „Nathan der
Weise“ die Lösung nennt: Man gebe Vernunft, Toleranz, Menschlichkeit
Vorrang vor religiöser Dogmatik und dem Wahn, die eigene Kultur sei die
einzig wahre. Der Inszenierung am Schlosstheater Neuwied geht es nun
wie jedem “Nathan“ seit jeher: Sie wird zur Einmischung in aktuelle
Fragen. Diesmal platzte eine neue Leitkultur-Kampagne in die
Premierenvorbereitungen. |
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Solcher Realitätsnähe kann sich das Stück nicht entziehen, selbst wenn es in Neuwied gar keine inszenatorische Aktualisierung aufweist. Regisseurin Stephanie Jänsch hält sich an jene Tradition, die es als Märchen aus alter Zeit umsetzt. Nur als Epilog lässt sie Radionachrichten über Auseinandersetzungen zwischen Muslimen und Kopten jüngst in Ägypten einspielen. Ansonsten bleibt es bei der Story, die im Jerusalem des 12. Jahrhunderts Schicksale von Juden, Muslimen, Christen untrennbar verwoben sieht. Von raffinierter Schlichtheit die Bühne. Charles Copenhaver hat drei drehbare Raumelemente nebeneinander gestellt. Jedes steht für eine der drei Weltreligionen, zusammen symbolisieren sie deren enge Verwandtschaft. Außen in neutralem Dunkelblau, markieren sie, einzeln gedreht, mit farbigen Decors verschiedene Spielorte: im Hause des Juden oder des Sultans oder des christlichen Patriarchen. Dort entfaltet sich ein Spiel grundsolider Theaterhandwerker. Was nicht despektierlich gemeint ist. Denn deren, sagen wir: konservative Art der Darstellung bringt in Neuwied exzellente Textverständlichkeit, markante Figurenzeichnung und klare Umsetzung eines einfachen, aber schlüssigen Regiekonzepts. Das will keinen bloß tragischen Abend, sondern zugleich dem Allzumenschlichen nachspüren. Intendant Walter Ullrich gibt seinem altersweisen Nathan ein leises, wissendes Schmunzeln über die Schwachheiten der Menschen mit. Peter Nüesch, Chef der Mayener Burgfestspiele, lässt als Derwisch hinter großer Geste ein gutes Quantum Selbstironie aufscheinen. Manfred Molitorisz, einst Schauspielleiter in Koblenz, verpasst seinem Sultan die mitfühlende Selbstgewissheit des „guten Königs“, bisweilen relativiert durch Süffisanz. Bemerkenswert, wie die drei seit Jahrzehnten auch als Regisseure und teils Theaterleiter aktiven Herren sich dienend aufs Ensemblespiel einlassen. Wie sie den Mitspielern Raum geben. Etwa Susann Fabiero für ihre spritzig-gescheite Sultansschwester oder Ursula Michelis für ihre zwischen humaner Treu und verbiestertem Glauben schwankenden Daja. Sie alle hantieren in unaufgeregter Versiertheit mit den Möglichkeiten traditionellen Schauspielhandwerks. Schwärmerischen Kontrast bringen die jungen Liebenden ins Spiel: Nathans Ziehtochter Recha, von Anna Julia Kapfelsberger etwas zappelig als recht naive Maid gegeben sowie der in romantisierenden Extremen zwischen Jauchzen und Betrübnis zerrissene Tempelritter von Ingo Heise. Ein uraltes Stück, bodenständig umgesetzt. Und doch: brandaktuell. Andreas Pecht Infos: www.landesbuehnerheinland-pfalz.de (Erstabdruck 12. März 2011) --------------------------------------------------------- ∇ Wer oder was ist www.pecht.info? --------------------------------------------------------- |
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