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2012-03-10a Analyse/Kommentar: | |
Zum Jahrestag der Fukushima-Katastrophe Die Atomskepsis wächst, der Energiehunger auch |
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ape. Optimistische
Schätzungen gehen davon aus, dass in etwa 40 Jahren die Trümmer des
Katastrophenreaktors Fukushima beseitigt sind. Wobei „Trümmer
beseitigt“ ein irreführender Begriff ist. Denn die am stärksten
strahlenden Teile werden dann keineswegs final entsorgt sein, sondern
wohl – nach dem Muster Tschernobyl – nur in riesigen Sarkophagen aus
Stahlbeton eingeschlossen. Und wie die Sicherung des Tschernobyl-Wracks
auch im 26. Jahr nach der Katastrophe noch fast ein Fünftel des
ukrainischen Staatshaushalts verschlingt, so wird Japan über Jahrzehnte
unzählige Milliarden in die weiter strahlenden Atomruinen von Fukushima
stecken müssen. Tschernobyl und Fukushima: zwei Fälle, in denen das berüchtigte „Restrisiko“ der Atomtechnologie wirksam wurde und alle zuvor gepflegte Kleinrederei ad absurdum führte. Tschernobyl erschütterte 1986 erstmals auf breiter Front den Glauben an die Kernkraft. Damals begannen Skepsis und Ablehnung gegenüber dieser Energietechnik von den alternativ gestimmten Rändern der Gesellschaft ins Zentrum des deutschen Meinungsbildes hineinzuwachsen. Mit der Folge, dass seit Mitte der 1990er in Deutschland kaum eine Umfrage noch Mehrheiten für die längerfristige, gar expansive Nutzung der Atomkraft attestieren kann. Die staatspolitischen Auswirkungen sind bekannt: der rot-grüne Beschluss zum Atomausstieg. Doch knapp 25 Jahre nach Tschernobyl vollzog dann die schwarz-gelbe Bundesregierung eine Rolle rückwärts. Sie beschloss den Ausstieg aus dem Ausstieg. Die Argumente lauteten: für den Wirtschaftsstandort zwingend, für den Technologiestandort unverzichtbar und klimapolitisch alternativlos. Auf Tschernobyl verweisende kritische Einwände gegen die Kehrtwende wurden vom Tisch gewischt: Die Katastrophe in der Ukraine wäre Ergebnis veralteter Technik und sowjetischen Schlendrians gewesen, ähnliches sei auf Basis neuer Technik und westlicher Sicherheitsstandards undenkbar. Die Regierung Merkel setzte damit das alte Dogma wieder in Kraft, wonach „wir“ die Atomenergie prinzipiell beherrschen und das Restrisiko vernachlässigbar klein halten könnten. Doch dann kam Fukushima. Am 11. März 2011 ließen extreme Naturphänomene (Erdbeben und Tsunami) in einem westlichen Hochindustrieland AKW-Blöcke moderner West-Bauart durchgehen – und zerstörten damit auch die gerade wieder zur deutschen Staatsdoktrin erhobenen Gewissheiten über die Beherrschbarkeit der Kernenergie. Ob die Physikerin im Kanzleramt seinerzeit tatsächlich urplötzlich zu einer neuen Einschätzung der Atom-Risiken gelangte oder nur auf die vom Fukushima-Horror hervorgerufene öffentliche Stimmung hierzulande reagierte, sei dahingestellt. Jedenfalls war wenige Stunden nach Beginn der Katastrophe klar: Das Versagen der Sicherheitssysteme in der japanischen Atomanlage ist der Sargnagel für den deutschen Ausstieg aus dem Ausstieg. Angela Merkel vollzog erneut eine Kehrtwende und verkündete, was eine erdrückende Mehrheit der Bürger im Frühjahr 2011 sowieso für unabdingbar hielt: das zeitnahe Ende des Atomzeitalters zumindest in Deutschland – die Energiewende. 12 Monate nach der Katastrophe von Fukushima hoffen in Japan noch immer zehntausende Menschen, dass sie bald, in einigen Jahren oder irgendwann in ihre leicht, mittelstark oder schwer verstrahlten Heimatorte zurückkehren können. Das Hauptsorgenkind sind die weithin niedergegangenen Teilchen des Cäsium-137, dessen radioaktive Strahlung binnen 30 Jahren erst auf die Hälfte sinkt. Japans Regierung hat eben an drei Großfirmen Aufträge im Wert von 13 Milliarden US-Dollar vergeben. Sie sollen 27 000 Hektar minder verstrahlte Fläche mit 60 000 Häusern darauf „reinigen“, dekontaminieren. Ob das funktioniert, weiß kein Mensch; es wurde noch nirgendwo auf der Welt gemacht. In Deutschland droht sich ein Jahr nach der Katastrophe von Fukushima derweil die Energiewende zwischen Halbherzigkeit, politisch-bürokratischem Kleinklein, wirtschaftlichen Bedenken und vielstimmigem Lobbysperrfeuer zu verstolpern. Je größer der zeitliche Abstand zum März 2011 und je spärlicher die Nachrichten von der noch keineswegs ausgestandenen japanischen Katastrophe, umso geringer wird der Druck im Kessel der Lokomotive Atomausstieg. Die Angst vor Strompreiserhöhungen scheint politisch bald mehr zu wiegen als die Bedenken gegenüber den unkalkulierbaren Risiken der Atomenergie. International ist das Bild noch trüber. Zwar haben die japanischen Ereignisse die Atom-Skepsis rund um die Erde deutlich anwachsen lassen – im bislang völlig dem Atomstrom verschriebenen Japan stieg die AKW-Ablehnung von 19 auf 66 Prozent. Dennoch folgen viele Staaten ungerührt dem Prinzip „weiter so“: 185 Reaktorneubauten sind weltweit geplant. Die Fukushima-Katastrophe hatte bei den Entscheidern international nur ein kurzes erschrockenes Aufmerken hervorgerufen. Angesichts wachsenden Energiehungers bei zugleich knapper und teurer werdenden Ressourcen an konventionellen Energieträgern scheint der Drang jedoch schier übermächtig, sich an die alten und durch Fukushima erneut widerlegten Versprechen der Atomkraft zu klammern: sichere, saubere, verlässliche, preiswerte Energie in hinreichender Menge. Bis zur nächsten „unglücklichen Verkettung unglücklicher Umstände“. Andreas Pecht |
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(Erstabdruck 10. März 2012) Weitere Artikel zum Thema aus dem Vorjahr: ∇ 2011-07-02a Essay: Die Energiewende beginnt im Kopf – 1. Teil (+ 2 u. 3) ∇ 2011-06-20 Analyse: Am Atomausstieg führt kein Weg mehr vorbei ∇ 2011-03-13a Kommentar: Zum Kernkraftwerks-GAU in Japan --------------------------------------------------------- ∇ Wer oder was ist www.pecht.info? --------------------------------------------------------- |
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