Kritiken Theater | |||
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2012-11-26 Schauspielkritik: | |
"Don Carlos" am Staatstheater Mainz in der Regie von Sarantos Zervoulakos Familienaufstellung nach Schiller |
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ape. Mainz. Die
Bühne reduziert auf ein kleines Podest, zu dem ein paar Stufen führen.
In der Mitte ein barocker Sessel. An Kulisse nichts weiter
(Ausstattung: Thea Hoffmann-Axthelm). Um den Patriarchen versammeln
sich dort fürs repräsentative Gruppenfoto, die zu seinem Haushalt
gehören. Herzeigbare Gesichter werden gezogen, Blitzlicht, man singt
„Stille Nacht“ – um hernach in zwei Stunden ein Beziehungsgeflecht
freizulegen, das fürs Gegenteil von herzlicher Gemeinschaft zeugt.
Friedrich Schillers Versdrama „Don Carlos“ wird am Staatstheater Mainz
zur psychotherapeutischen Familienaufstellung, den Kostümen nach der
Gegenwart nahe angesiedelt.![]() |
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Foto: Bettina Müller Sohn Carlos wirbt vergeblich um die Zuneigung seines Vaters Philipp (Berthold Toetzke), ist zugleich heftig verliebt in die Stiefmutter Elisabeth. Das ist wie bei Schiller, nur hieß es dort: Der alte König traut dem Prinzen in Staatsgeschäften gar nichts zu, im Umgang mit der noch jungen Königin bald jedoch alles. Freund Posa verspricht Hilfe für den Dreieckskonflikt. Andere Hausgesellen indes heizen ihn mit eigennütziger Intrige an: der brutale General Alba (Zlatko Maltar), der feiste Pfaffe Domingo (Lorenz Klee), die mit Frauenreizen nicht geizende Eboli (Lisa Mies) und eine undurchsichtige Oberhofmeisterin (Monika Dortschy). Den ganzen Abend hindurch stehen in Mainz diese acht eng beieinander, rücken in wechselnden Konstellationen nur etwas zur Seite, um diesem oder jenem aus ihrem Kreis Platz zu machen für den Auftritt. Was dann jeweils gedacht, gesprochen, getan wird, steht unter Beobachtung aller. Damit hat Regisseur Sarantos Zervoulakos sich moderne Gruppentherapie und zugleich antiken Theaterchor nutzbar gemacht, bloß dass die Chor-Kommentare jetzt aus Blicken und Mimik bestehen. Carlos ist hier ein seltsames Bürschlein. Obwohl ansehnliches Mannsbild mit Dreitagebart und 31 Jahre alt, gibt ihn Stefan Graf in kurzen Schlabberjeans über knallroten Leggins als quasi Pubertierenden: Die Gliedmaßen oft schlaksig verstolpert, schwimmt er zwischen Kindlichkeit und sprießender Männlichkeit. Sein Liebesansinnen weist die Stiefmutter (Karoline Reinke) einerseits verständnisvoll von sich, andererseits lockt es sie gehörig. Was nicht wundert angesichts der Gefahr, dass die liberale Frau im katholisch-despotischen Haus des verknöcherten Königs von Spanien vertrocknet. Posa ist der Hoffnungsträger. Philipp setzt auf ihn als einzigem selbstlosen Menschen in seiner Umgebung. Carlos baut auf ihn als Wegbereiter zu Herz und Schoß der Elisabeth. Diese hofft, in ihm einen Verbündeten für die Befreiung der Niederlande vom spanischen Joch zu finden; ein Anliegen, das auf Gegenseitigkeit beruht. Wie André Willmund seinen Posa da in Businesshemd mit Krawatte meist wissend lächelnd die Fäden spinnen lässt, wirkt er wie der Therapeut im Spiel. Man kann dem Ansatz, das große Werk in eine intime Form zu gießen, mit Interesse folgen. Zumal die zurückgenommene, unpathetische Spielweise einiges für sich hat. Allerdings tauchen da zwei Probleme auf. Erstens ist die Inszenierung krampfhaft bemüht, den hohen Ton von Schillers Jamben-Dichtung zu vermeiden. Ergebnis ist vielfach eine überschnelle Art fast beiläufigen Sprechens, die der Textverständlichkeit schadet. Zweitens hat Zervoulakos gerade für das Verständnis der politischen Dimensionen des Stückes wichtige Textteile gestrichen. Weshalb die Triebkräfte hinter manchem Tun vage bleiben und die Schiller'sche Balance zwischen Liebes- und Staatsaffäre verloren geht. Man möchte für 30 Minuten mehr Text plädieren. Der Inszenierungsstil hätte das durchaus getragen. Andreas Pecht Infos: >>www.staatstheater-mainz.com (Erstabdruck/-veröffentlichung außerhalb dieser website am 26. November 2012) --------------------------------------------------------- ∇ Wer oder was ist www.pecht.info? --------------------------------------------------------- |
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