Kritiken Ausstellungen | |||
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2015-04-29 Ausstellungsbesprechung: | |
Ausstellungszyklus im Gutenberg-Museum Mainz: Die Reformation als Medienereignis Und am achten Tag schuf Gott die Cloud |
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ape.
Mainz. Der Herr sah nach
sechs Schöpfungstagen, dass er alles gut auf den Weg gebracht hatte.
Weshalb er am siebten ruhte. Sein Sonntag dauerte Millionen Jahre.
Derweil entwickelte sich die vermeintliche Krone der Schöpfung zum Homo
sapiens. Dessen Vertretern gab Gott dann die Idee ein, all ihre
Erfahrungen und Erkenntnisse untereinander auszutauschen. Und also
entstand eine neue Sphäre: die „Wolke” aus überlieferten und allweil
hinzugewonnen Informationen nebst Kommunikation darüber. Diese
augenzwinkernde Erweiterung der Genesis fasst das Mainzer
Gutenberg-Museum in der Überschrift „Am 8. Tag schuf Gott die Cloud”,
unter der ein jeztzt eröffneter Ausstellungszyklus steht. |
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![]() Der die Basisausstellung prägende Grundgedanke geht so: Erst Gutenbergs drucktechnische Erfindungen Mitte des 15. Jahrhunderts schufen die Möglichkeit, Gedrucktes in hohen Auflagen schnell unters Volk zu bringen. Und gerade Martin Luther spielte alsbald bravourös auf der Klaviatur der „neuen Medien”. Will sagen: Ohne Gutenberg keine Reformation. Heißt aber auch umgekehrt: Ohne das Protest-, Aufklärungs-, Lese- und Diskursbedürfnis der Reformation keine Explosion des Marktes für Druckerzeugnisse, wie sie das frühe 16. Jahrhundert erlebte. Die Schau präsentiert eine Vielzahl hochkarätiger historischer Druckwerke, deren Gesamtauflage schon vor fünf Jahrhunderten in die Millionen ging. Dialogschriften, Broschüren, Predigtdrucke, Bücher, Plakate, Flugblätter verdeutlichen: In allen Bevölkerungsschichten brach sich seinerzeit neues Denken Bahn mittels eines bis dahin unbekannten Zusammenwirkens von schriftlicher, bildlicher, mündlicher, ja selbst gesanglicher Kommunikation. Insofern ist die Bezugnahme auf das moderne digitale Netzwerk inhaltlich und formal naheliegend. Luthers eigenes Gesangbuch ist ebenso vertreten wie Flugzettel, die im reformatorischen Geiste neue Liedtexte verbreiten mit dem Hinweis, sie seien zu dieser oder jener altbekannten Melodie zu singen. Die Druckwerke sind häufig mit Illustrationen und Karikaturen versehen, deren Botschaft auch von Analphabeten zu verstehen ist. Darunter die wohl berühmteste aller antipapistischen Bildsatiren, der „Papstesel zu Rom”. Und eine bewegte Beamer-Projektion erhellt, wie geschickt eine von Heinrich dem Weisen initiierte PR-Kampagne die Imagebildung Luthers als Denker, Glaubensautorität und schließlich Bestsellerautor auch mit Hilfe vervielfältigter Porträt-Holzschnitte von Lucas Cranach betrieb. ![]() Im Zentrum stehen natürlich Bibeln, überragt vom Schatz des Gutenberg-Museums: der Luther-Bibel von 1534. Die zwei Bände mit den herrlichen Cranach-Illustrationen symbolisieren zugleich den Kern der Reformation: Die Bibel als Heilspool göttlichen Wortes wird der Verfügungsgewalt lateinisch sprechender Priester entrissen und in deutscher Übersetzung allem Volk an die Hand gegeben. Auf dass ein jeder seine Verantwortung fürs eigene Seelenheil selbst übernehmen kann/muss. Eine iPad-Station erlaubt dem Besucher das Blättern in einer elektronischen Version der hinter Glas geschützten Originale. Lehrreiches am Rande: Es gab schon vor Luther Bibel-Übertragungen ins Deutsche. Die Ausstellung zählt insgesamt 18 auf. Allerdings handelt es sich dabei überwiegend um sehr freie Übersetzungen oder auch nur (fragwürdige) Nacherzählungen/Inhaltsangaben einzelner Bibel-Episoden. Zugleich mit der Basispräsentation ist die erste Wechselausstellung eröffnet worden. Unter dem Titel „(Ent)Kleidung: Nacktheit und Mode” geht sie dem Phänomen bis heute nachwirkender biblischer Bildvorstellungen in der Kunst wie in unseren Köpfen nach. Mittels Skulpturen, Buchillustrationen, Gemälden von Ulrich Pinter aus dem frühen 16. Jahrhundert bis hin zu Arbeiten von Corinth, Kokoschka und Chagall im 19. und 20. werden Veränderungen, aber auch gleichbleibende Grundprinzipien bei der Darstellung von Nacktheit und Bekleidung verhandelt. Wo und warum sind Adam und Eva völlig nackt, wo und warum ihre Blößen durch Feigenblätter verhüllt? Warum erwächst bei ihnen aus Nacktheit Sünde, während bei Christus am Kreuz Entkleidung zur Erlösung führt? Wann ist Nacktheit reine Unschuld, wann qualvolle Entwürdigung, wann erotische Lockung und Liebesglück? Die Ausstellung im Gutenberg-Museum mag mit ihrem Schwerpunkt auf Gedrucktem vor allem für bibliophile Zeitgenossen ein Genuss sein. Die von ihr aufgeworfenen Fragen und behandelten Aspekte sind indes für jeden interessant. Andreas Pecht Infos: Basisausstellung bis Februar 2016. Dazu Wechselausstellungen: „(Ent)Kleidung” bis 9.8.2015; ab 26.8. (bis 29.11.) „Kampf dem Todsündentier”; ab 11.12. (bis 28.2.2016) „Engel und Teufel”. >>www.gutenberg-museum.de (Erstabdruck einer etwas kürzeren Fassung außerhalb dieser website am 29. April 2015) ----------------------------------------------------------------------------------------- ∇ Wer oder was ist www.pecht.info? ----------------------------------------------------------------------------------------- |
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