Portrait Andreas Pecht

Andreas Pecht – Kulturjournalist i.R.

Analysen, Berichte, Essays, Kolumnen, Kommentare, Kritiken, Reportagen – zu Kultur, Politik und Geistesleben

Leitkultur hinterm heiligen Damm

Da fährt einem doch der Schreck in die Glieder, wenn zur Feierabendzeit plötzlich das Telefon klingelt und einem jemand ins Ohr flötet: „Herzlichen Glückwunsch, sie haben gewonnen!“  Von echtem Gewinn dann keine Spur – man soll Geld ausgeben. Selbst die liebreizende Frauenstimme ist Täuschung, wie du schnell merkst, willst du dich mit der Dame privatim verabreden: Die lässt sich ums Verrecken nicht unterbrechen, besteht trotz feinster Komplimente ungerührt aufs Knöpfchendrücken. Das ätzende Spiel wiederholt sich alle paar Tage, weshalb ich die mir eigenen guten Manieren inzwischen abgelegt habe: Weiter als bis „Herzli“  kommt mir das Luder nicht mehr in die Wohnung.

Diese Nachfahrin von mannsverwirrenden Weibsapparaten wie Olympia oder Coppelia hat leider auch Kollegen aus Fleisch und Blut. Die fallen ebenfalls zuhauf ungerufen durch die telefonische Tür ins intime Home, das ja des Bürgers Castle sein soll, und dessen Unverletzlichkeit dem Staate als besonders schützenswertes Gut zu gelten hätte. Heerscharen von Handytarif- und Versicherungsvertreibern, Lotterie- und Kreditverkäufern ficht das nicht im Geringsten an. Und der Staat mag offenbar der Telefonmarketingbranche keinen Verdruss bereiten, tut die doch mit allerhand „geilen Tschobs“ der Arbeitslosenstatistik gut. Bleibt nur: Sofort auflegen. Oder man macht es wie Freund Walter, der auf einschlägige Fragen zur Gesprächseröffnung antwortet: „Ich haabe gar kein Händi“ oder „Geld sparen ist langweilig“ oder „Gewinnen halte ich für unmoralisch“… Da hat Walter Spaß, wenn die Schnellschulung des armen Drückers solche Antworten nicht vorsah.

Schluss mit lustig war allerdings, als ihm neulich sogar seine heimische Hausbank mit derselben Tour in die Tagesschau platzte. „Seit 30 Jahren bin ich Kunde bei euch, wurde immer von Herrn M. in der Filiale um die Ecke bestens beraten und bedient. Der hat jetzt das Handtuch geworfen, weil neuerdings selbst Kleinkredite nicht mehr von dem entschieden werden, der seine Kunden seit Jahren vor Ort betreut, sondern nur noch von weltfremden Schnöseln in der Zentrale. Aber mir rückt ihr jetzt mit solch einem Schei…dreck  auf die Pelle!“ Walter war richtig geladen, ist es noch – und sitzt seit Tagen über einem Brief an die Chefetage der Bank.

 Im Lateinischen gibt es ein schönes Wort für „Schrecken bereitendes Geschehen“, wie es das willkürliche Eindringen in die Privatsphäre ungeschützter Personen darstellt: „terror“, abgeleitet vom Verb „terrere“ = schrecken, erschrecken. Darauf bezieht sich Walters Antwort zu meiner Frage, wofür denn der Brief nütze: „Terrorabwehr“. Die Anrede des Schreibens steht bereits: „Werter Vorstand der Drückerkolonne, die einmal meine Hausbank war“. Die Schlussformel ist ebenfalls fertig: „Deshalb kündige ich hiermit – Vollmachten anbei – meine beiden Girokonten sowie diejenigen meiner Frau, meines Sohnes, meiner Eltern und meiner Schwiegereltern nebst allen von diesen Personen bei Ihnen eingerichteten Sparkonten. Mit unfreundlichen Grüßen“.

Ich bin ein bisschen in Sorge um den Freund. Wenn er sich schon wegen der Telefonquälerei so aufregt, es möchte ihm ja das Herz stillstehen, sollte Schäuble seinen Willen bekommen und in Sachen Bürgerrechte vollends das Erbe von George W. Bush antreten dürfen. Tja Walter, wie wäre dir, würden die Schlapphüte klammheimlich  zusehen, was du im Internet treibst? Wie erst wäre dir, hingest du plötzlich im Terrornetz, weil du neulich deinem Schwager marokkanischer Herkunft eine E-Mail geschickt hast mit der Ankündigung „das Päckchen kommt nächste Woche“? Kommuniongeschenke für die Kinder? Da zeigt dir im Ernstfall der entsicherte Sicherheitsapparat bloß den Vogel.

Denn hast du nicht auch eben erst in einem Internet-Chat Sperranlagen und Demonstrationsverbot für den G-8-Gipfel in  Heiligendamm als Verfassungsbruch kritisiert? Weil die Bürgerrechte ja nicht nur zum Spaß im Grundgesetz stünden, sondern der Staat auch verpflichtet sei, Bedingungen zu schaffen, dass man sie wahrnehmen kann – selbst wenn das der Staatsräson eben mal gar nicht in den Kram passt, und obwohl das Risiko besteht, dass ein paar Rabauken über die Stränge schlagen. Walter, Walter! Du denkst und machst Sachen, die passen einfach nicht mehr in die Zeit – der  neudeutschen Leitkultur. 

Andreas Pecht

Kulturjournalist i.R.

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