Freund Walter hat ein Laster. Falsch: Er hat etliche. Essen, Trinken, wechselnd Lieben, Widerworte geben, nie Krawatte tragen… Und: Ordentlich dem Tobak zusprechen, darin Schiller und Thomas Mann, Herrn Brecht, Churchill, Helmut Schmitt oder mir folgend. Ach, wir sind allesamt Schweine, Schwächlinge, Abschaum – und deshalb dankbar, dass Sabine Bätzing für unser Heil und die Volksgesundheit streitet wie weiland die heilige Jungfer von Orleans mit göttlichem Schwert gegen teuflische Briten. Möge der Bundesdrogenbeauftragten aus dem Westerwald Johannas Schicksal erspart bleiben: Die Engelsreine vergaffte sich in einen Feindesmann, und aus war’s gleich mit Reinheit wie Heiligkeit.
Aber ich wollte auf ein anderes von Walters Lastern hinaus: Technikfaszination. Die trieb ihn nach Frankfurt zur Automobilausstellung. Wie funkelten seine Augen als er nachher ausrief: „Die Menschheit muss Autos kaufen, je mehr, umso besser! Die neuen Modelle sind ein Gesundbrunnen für die Umwelt.“ Bolidenschock, PS-Trauma oder von IAA-Hostessen um den Verstand gebracht? Eben noch hatte er die automobile Gesellschaft für die hinrissigste Sackgasse der Menschheitsentwicklung gehalten; jetzt das. Walter offenbart grinsgesichtig ein weiteres Laster: Provokationslust. Seinen IAA-Rundgang muss man sich so vorstellen: Von Stand zu Stand fragt er nach dem Fortschritt in der Entwicklung des 0-Autos. Null-Auto?, wundern sich die Herrn im Nadelstreifen. Darauf Walter: „Nun tut nicht so, schließlich kann, was ihr hier an Umwelt-Wohltaten für die nähere Zukunft versprecht, nur mit dem 0-Auto realisiert werden.“ Was das denn für ein Ding sei, dieses 0-Auto, wird er gefragt. „Ei, jedes Auto, das nie gebaut wird und niemals fährt.“
Während der Freund die Füße hochlegte, um die Besichtigung von Verbrennungskraftwerken auf vier Rädern zu verdauen, rekapitulierte ich die Sommerfestivalsaison 2007. Ein Wunder war, dass trotz lausigen Wetters und dicht gedrängten Festival-Angebotes in der Region, fast alle Veranstalter „guten Besuch“ oder Besucherrekorde vermelden konnten. Der Mittelrheiner von heute hat sommers offenbar Pfeffer im Hintern oder Flöhe unterm Hut – er will was erleben. Und sage mir keiner mehr, diese Lust gelte bloß leicht verdaulichem Entertainment: Gerade die hohen Künste konnten sich heuer über Besuchermangel nicht beklagen.
Bei solchen Gelegenheiten kommt man auch mit Leuten von auswärts ins Gespräch. So es sich um Freunde klassischer Musik handelt, ist bald die Frage nach den akustischen Qualitäten diverser Räumlichkeiten Thema. Da wird es peinlich, wenn man als Hiesiger gestehen muss, dass es in Koblenz nicht einen einzigen größeren Saal gibt, bei dessen Bau oder Sanierung musikakustische Gesichtspunkte eine Rolle gespielt hätten. Walter – nur ein Gelegenheitsklassiker – hatte mein diesbezügliches Gemecker stets als Überspanntheit abgetan. Bis ich ihn zu Konzerten in der Kölner Philharmonie mitschleppte. Reaktion: „Au Backe, dagegen klingt die Rhein-Mosel-Halle wie ´ne Busgarage und das Görreshaus wie der Trockenspeicher meiner Oma.“
Seit der Freund den Unterschied zwischen sehr gutem Klang und gewöhnlichem Klang erlebt hat, fragt er nach der Liste, auf der er für den Bau eines akustisch optimierten Saales in Koblenz für 400 bis 700 Besucher unterschreiben kann. „Das muss doch zu machen sein in einer Stadt, die so viel Kultur hat und so stolz darauf ist; in einem großstädtischen Oberzentrum mit doppeltem Welterbestatus, Bundesliga-Verein nebst bald neuem Stadion und Bundesgartenschau.“ Tja Walter, sollte man meinen. Aber manchmal begreifen wir´s wohl einfach nicht.
So wie bei jener Leserin, die voll des Lobes über die Querdenkerei dieser Kolumne war, aber darüber klagte, dass sie sich bisweilen Mühe geben müsse, um den Formulierungen zu folgen. Oder gar länger nachgrübeln, was der Autor denn jetzt wieder sagen wolle. Verehrte gnädige Frau, das ist der Sinn dieses Geschreibsels: Dass Sie sich Mühe geben und das eigene Hirn bewegen. Wir sind hier doch nicht bei der Bild-Zeitung, wo bereits ein eingeschobener Nebensatz als Überforderung gilt. Wir sind beim „Kulturinfo“, das sich schon mit Namen – Kultur – als Phänomen einer halbwegs entwickelten Zivilisationsphase ausweist. Hier wird niemand mit durchgekauten Häppchen zufrieden genudelt.