Portrait Andreas Pecht

Andreas Pecht – Kulturjournalist i.R.

Analysen, Berichte, Essays, Kolumnen, Kommentare, Kritiken, Reportagen – zu Kultur, Politik und Geistesleben

Eine lästerliche Laudatio

Gehalten am 10. November 2007 in Bad Marienberg beim Festakt mit Fete anlässlich des 20. Geburtstages der Marienberger Seminare (unkorrigiertes Redemanuskript)

***

So!
Der hehren Sprüche sind genug gewechselt.
Die Herren können nun die Jacketts ausziehen und die Krawatten ablegen, die Damen ihre Pumps von den malträtierten Füßen streifen und das Mieder lockern: Der Pflichtteil dieses Abends ist überstanden, wir kommen zu den Annehmlichkeiten der Kür.

Hochverehrtes Publikum,

die Marienberger Seminare haben sich von mir zum heutigen Anlass ein kleine Rede gewünscht. Eine Rede, die so recht das gerade Gegenteil einer hochoffiziellen Jubiläumslaudatio sein soll. Man, genauer gesagt: Frau – also die einschlägig bekannte Gründerin und Antreiberin dieses Vereins – hat ausdrücklich um einige kecke, ja sogar freche Bemerkungen über Eigenheiten und Sonderlichkeiten im Leben und Erleben der Seminare gebeten. Kurzum, auf dass die heutige Versammlung auch etwas zum Lachen habe, soll meine Wenigkeit – an dieser Stelle einmal mehr – den lästerlichen Narren geben. Wohlan, so sei es. Aber bitteschön auf eigene Gefahr und ganz ohne Reklamationsrecht. Wenn´s ihnen gleich geht wie Goethes Zauberlehrling, ersparen sie mir zumindest dessen Lamento

Wer einen Narren bestellt, könnt einen der Shakespearschen Art bekommen. Und die kennen keine Rücksicht gegen niemanden – wes Standes, Verdienstes, Alters oder Geschlechts das Opfer auch sei. Sie haben es so gewollt!

Was also wär’ zu melden, worüber vielleicht schon manches Jahr gute Freunde die Decke sittsamer Verschwiegenheit gebreitet haben? Wie´s üblich ist bei Shakespeare drischt der Narr zuvörderst auf seinen Herrn und Spesengeber ein, um vor aller Welt zu beweisen: „Wes Brot ich ess, des Lied sing ich – noch lange nicht“. Weshalb im heutigen Falle der erste Schlag gegen die Herrin des Marienberger Salons selbst zu führen ist. Lady Barbara (Abigt), gebet Obacht!

Ich verrate also: Viele Menschen auf einem Haufen machen diese Frau nervös, nachgerade beklommen. Viele Menschen meint: Schon zwei oder drei mehr als die üblichen anderthalb Dutzend im Seminarraum am Zinnhainer Weg. Diesen pflegen Journalisten gewöhnlich „Wohnzimmer“ nennen, was Madame stets auf die Palme bringt. Weil der Raum erstens nicht das Wohnzimmer des Hauses sei – obwohl man sich darin angenehm wohnzimmerlich beheimatet fühlt. Weil, zweitens, die Bezeichnung Wohnzimmer, nach Madames Dafürhalten, fälschlicher Weise auf nicht sehr ernsthaftes Tun hindeute. Um solch einen Verdacht gar nicht erst keimen zu lassen, musste schon mancher Besucher aus der journalistischen Zunft geharnischte Belehrung zum deutschspachlich korrekten Umgang mit dem Wort „Wohnzimmer“ über sich ergehen lassen. Keine Übertreibung, selbst so erlebt!

Aber ich schweife ab. Wir waren bei dem Faktum Beklommenheit, das Neulinge in diesem Kreise kaum für menschenmöglich halten, angesichts des resoluten Wesens, das unsere Frau Barbara für gewöhnlich an den Tag legt. Etwa, wenn sie die Seminaristen vom üppigen Buffet aus Käse nebst Sauergurken und krachendem Schiffszwieback wegtreibt und wieder zur Arbeit hin. Dabei in die Hände klatschend und lockrufend, wie weiland der Hirte, so er seine Schafe von der Weide in den Stall zu treiben hatte. Keine Spur auch von Beklommenheit, wenn die Chefin in direkter Konfrontation mit ihren Lieben ausnahmslose Pünktlichkeit fordert, das selbst von weitgereisten Referenten, handle es sich dabei auch um noch so berühmte Koryphäen ihres Faches.

Und erst recht keine Beklommenheit, sobald sie es mit den ganz Großen der Politik zu tun bekommt. „Sie müssen für das Pressefoto die Urkunde so vor sich halten“, sagt man ihr in der Mainzer Staatskanzlei bei der festlichen Verleihung des Landesverdienstordens. Sagte wer? Der Herr Ministerpräsident höchstselbst. Und was antwortete sie? „Mach ich nicht!“ Was sagte daraufhin der Landesvater mit ratlosem Schulterzucken zu den Fotografen? „Die will das nicht machen.“

Anderes Beispiel aus dem Schatz ebenso wahrer wie wahrhaftiger Legenden aus der Geschichte der Marienberger Seminare. Kommt doch tatsächlich der Bildungsminister von Rheinland-Pfalz leibhaftig zur Stippvisite in den Zinnhainer Weg. Das liegt schon ein paar Jährchen zurück, und besagter Minister ist inzwischen nach Berlin entfleucht. Politik mag ein an Wandel reiches Geschäft sein, das seinerzeitige Ereignis jedenfalls, zeugt von einem Geist, der in der Französischen Revolution geboren ward und in Bad Marienberg hoffentlich noch immer Heimstatt haben wird, wenn an jenen honorablen Besuch hier schon keiner mehr denkt.

Kurzum, die Angelegenheit verhielt sich folgendermaßen:
Es betritt mit Gefolge der Herr Minister das Wohnzimmer, pardon: den Seminarraum. Darinnen wird gerade eifrig über irgendein hochnotinteressantes Thema gelehrt und gelernt. Weshalb die Maestra des Hauses die üblichen und vom hohen Besuch wohl auch erwarteten Honneurs kurzerhand ausfallen lässt und den Herrschaften diesen Bescheid erteilt: „Da hinten sind noch Plätze frei, setzen sie sich und hören sie zu.“

Derart auf Augenhöhe angesprochen, gesellte sich Bürger Jürgen Zöllner zu den Scolaren, und bekam hernach von seinem Gefolge gesteckt: Solche Seminare sollte er öfter besuchen, das täte ihm ganz gut. Diese Empfehlung sprach Bürgerin Doris Ahnen, nachher selbst Bildungsministerin geworden. Weshalb der Narr an dieser Stelle dem hochgeschätzten Herrn Vereinsvorsitzenden Jürgen Hardeck als Botschaft mit auf den Heimweg nach Mainz gibt: Sage er der Frau Ministerin, sie habe damals klug geraten und möge nun den eigenen Rat auch für sich selbst beherzigen.

Doch, doch, auch wenn Sie´s, verehrte Geburtstagsgäste jetzt noch weniger glauben mögen als zuvor: Im Angesicht von mehr als 20 Menschen beschleicht unsere Frau Abigt Beklommenheit. Und was tut sie dann? Wo andere den Zuspruch vertrauter Mitmenschen suchen würden, Frauen womöglich die Stütze eines starken Männerarmes, da ruft sie: „Man reiche mir mein Wasserglas!“

Von schnödem Wasser darin selbstredend keine Spur. Stattdessen ein kleines Quantum jener Medizin, die schon Heinrich Heine meinte, wenn er den Rheinwein bedichtete, aber doch viel lieber Bordeaux trank. (Was der Narr dem Dichter nicht verdenken kann, Heimatliebe hin oder her.)

Nun muss ich schnell zusehen, irgendeine Kurve zu kriegen, sonst möchte mir die Wasserglasfreundin auf ewig gram sein, weil sie hier
erstens als Schluckspecht vorgeführt werde, was – wie ich ausdrücklich betonen möchte – ein böswilliges Missverstehen meiner Einlassungen wäre;
und zweitens gram, weil meine Rede sie fortdauernd in den Mittelpunkt stellt, was sie nun ums Verrecken nicht leiden kann.

Womit sie recht hat, völlig recht. Denn zwar ist Madame die Seele vom Ganzen, deshalb aber längst nicht das Ganze. Für das, was so ein Vereinsbetrieb nötig hat, sorgen zuhauf gute Geister. Andere Geister schaufeln jede Menge unsichtbare Substanz nach Bad Marienberg. Von der glauben gemeine Seminaristen, es handle sich um etwas Besonderes, und die schweißtreibende Beschäftigung damit mache, wenn schon nicht schöner, dann wenigstens klüger.

Werfen wir also – nicht ohne den gebührenden Respekt – einen Blick auf den Lehrkörper unserer Volksuniversität mit Humboldtschem Universalanspruch. Eines fällt sofort auf: „Wir sind umzingelt von Philosophen.“ Der Satz stammt nicht von mir, sondern aus dem inneren Zirkel IHRES (Publikum) Kreises. Und vermutlich ließe er sich ebenso als Aufstöhnen oder Hilferuf rezitieren: Wir sind umzingelt von Philosophen!!!!! Von 16 im Internet ausgewiesenen Referenten der Marienberger Seminare sind 6 studierte Philosophen. Halb so wild, werden Sie jetzt sagen, bloß ein gutes Drittel. Allerdings sind von den verbleibenden 10 siebene verkappte Philosophen: Religionswissenschaftler und Sinologen, dazu reichlich Psychologen mit ihrem schon quasi notorischen Hang zur Philosophisterei. Und schließlich auch noch das: Der einzige Physiker im Rund unterrichtet im Zweitfach was? Richtig, Philosophie.

Als sei dies der kategorisch-imperativische Auszug aus ihrer selbstverschuldeten Unmündigkeit pilgern die Herrschaften der philosophischen Fakultäten gen Bad Marienberg. Warum? Gewiss kaum der prallen Börse wegen, die hier sowieso nicht zu verdienen ist. Sie kommen, weil sie hier dürfen, was man sie an ihren Universitäten nicht mehr lässt: Nach Gusto Steckenpferde reiten – Literatur und Kunst oder noch lieber: Amor und Eros. Ewig reizendes, unerschöpfliches Thema in tausenderlei Variationen: Die Frau, der Mann, und dass sie nicht lassen können voneinander – obwohl in des Lebens profaner Alltagsmühle, auch genannt Klappsmühle, beide Geschlechter die meiste Zeit über zueinander stehen, wie der Teufel zum Weihwasser oder Shakespeares Narr zu den heiligen Jungfern von Herrn Schiller und Herrn Kleist.

Man stelle sich Folgendes vor. Da gibt ein gestandener Philosophieprofessor in den besten Mannesjahren erst im Seminar-eigenen Café Noir unter dem Motto „Sommer, Wein und Tandaradei“ den Dionysos. Dabei offenbar in Friedrich Nietzsches Fass der Entfesselung gefallen, lässt er sich später seminaröffentlich mit einer jüngeren Kollegin ein – ausgerechnet auf einen Disput über so befremdlich eigensinnige Frauen wie Effi Briest, Anna Karenina und Madame Bovary. Dazu mimt ein anderer Kollege, Professor der Germanistik und auch nicht mehr der Allerjüngste, den schauspielernden Rezitator. So etwas kann es nur bei den Marienberger Seminaren geben. Es sei dieser Fall hier angeführt als Beispiel für den Mut zur Überschreitung der Fakultätsgrenzen und zum Verlassen der eigenen so vertrauten und mithin stinklangweilig gewordenen Wege. Vom Ausgang jenes Disputs wollen wir allerdings schweigen.

Auch die blauen Flecken am Schienbein eines anderen, mit einer eigenen Schule sogar nationenweit berühmt gewordenen Philosophen, seien nur angedeutet. Die Schrammen zog er sich bei Tritten unterm Tisch zu, ihm versetzt von der Hausherrin, wenn ihr dieses Mannes Thesen denn allzu männlich wurden. Der Berühmte kam wieder und kommt noch immer – so wie manch anderer auch, der gewöhnlich andernorts für gutes Geld vor großem Publikum referiert. Frau Barbara lockt sie, bezirzt sie, kriegt sie zumeist auch rum, es mal mit kleinerem Kreis in diesem Bad Marienberg zu versuchen – also jwd, dort am Dingens der Welt, wo Fuchs und Hase…. Sie wissen schon.

Der Bildungs-Sirene Lockung, verbunden mit der Möglichkeit zur Steckenpferd-Reiterei, würden für sich genommen allerdings kaum hinreichen, so viele vielbeschäftigte Koryphäen dauerhaft an die Seminare zu binden. Ich will mal so sagen: Würde man hier als Vortänzer einer Gemeinde kuhäugiger Faktenhuber begegnen oder einer Bagage von Schickimickis, die sich bloß mit ein paar Bonmots aus dem Bildungskanon für nachherigen Gesellschaftstalk munitionieren wollen, um die Referentenliste wäre es rasch schlecht bestellt. Dem ist aber nicht so. Vielmehr trifft man hier stets auf hellwache, putzmuntere und nötigenfalls auch renitente Auditorien. Weshalb außer Philosophen auch Ingenieur, Hirnforscher, überarbeiteter Chefredakteur, ebenfalls überarbeiteter, aber obendrein noch unterbezahlter freier Journalist, ja sogar ein Parapsychologe immer wieder mal gerne den Weg hierher finden.

Parapsychologe? Was, in drei Gottes Namen, hat ein Parapsychologe in diesem Hort der Aufklärung verloren? So fragte ich einmal Madame Abigt – womit wir wieder am formidablen Ausgangspunkt und damit am baldigen Ende meiner Ansprache angekommen wären. Die kurzangebunde Antwort auf meine Frage lautete: „Der Mann ist kein Spökenkiecker!“ Wie bitte? Was, zur Hölle, ist ein Spökenkiecker? Und da erlebte ich unsere Freundin das erste Mal stammelnd. Denn sie war, wie es uns allen immer wieder mal geht, nie auf die Idee gekommen, dass jemand einen für sie seit Jahr und Tag selbstverständlichen Begriff nicht verstehen könnte.

Da nun meinerseits keinerlei Vertrautheit mit den Spezialitäten irgendeines küstenseitigen Flachland-Dialektes vorlag, kreisten wir in längerem Gespräch die Übersetzungsmöglichkeiten für das Wort Spökenkiecker ein. Und einigten uns schließlich auf: Kaffeesatzleser. Ein solcher ist besagter Parapsychologe also nicht. Womit nun schlussendlich klar geworden sein sollte, dass es kaum ein Phänomen zwischen Himmel und Erde geben dürfte, auf das unsere Volksuniversität nicht einen interessierten Blick würfe. Bei Kaffeesatzsleserei allerdings, da steht Barbara Abigt vor, ist Schluss mit lustig.

Bleibt mir zum Ende nur das Ausbringen eines Toastes aufs Geburtstagkind. Den möchte ich wegen der in zweieinhalb Stunden beginnenden Karnevalssession in die Form eines närrischen Mottos gießen:

Gesche Doofheit und Lebensfrust
hilft Bad Marienberger Bildungslust

Narrhallamarsch, Auszug, man reiche mir mein Bierglas. Danke

Andreas Pecht

Andreas Pecht

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