Städtische Ratten und Vögel jubilierten. So etwas hatten beide lange nicht erlebt: Ihre Mitbewohner von der zweibeinigen Säugergattung flohen das Rhein-Mosel-Biotop, statt sich, wie sonst am 11.11., mit Trärä beim ersten Vorspiel zur Enthemmungs-Session zu verlustieren. Koblenz fiel in eine so tiefe Sonntagsruhe, als habe es eben das von Bibel und Arbeiterbewegung aufgestellte Gebot „am siebten Tage sollst du ruhen“ als weisen Ratschluss wiedererkannt und wolle nun für manch arbeitsreichen Sonntag Buße tun.
Ausgerechnet ein nachgelassenes Zeugnis der schlechten Seite menschlicher Existenz erinnerte im vorliegenden Fall an die besseren Errungenschaften der Geschichte: die Weltkriegsbombe an den arbeitsfreien Sonntag. Vielleicht sollte man jenes am Koblenzer Zentralplatz ausgebuddelte Sprengmonster dorten als Mahnmal aufstellen. Damit dereinst, wenn kaufsüchtige Massen mit leerem Portemonnaie sieben Tage die Woche rund um die Uhr durchs neue Mittelrhein-Einkaufsparadies schlurfen, ein paar Leute aufmerken: Das also kann der Mensch sich antun.
Freund Walter kringelt sich. Man werfe ihm das Stichwort „Zentralplatz“ zu, schon prustet er los. Derselbe Effekt bei „Intendantensuche“ und „Lokführerstreik“. Der Tanz ums große Koblenzer Loch hat es ihm schon lange angetan. Seit jüngst aber eine neue Bürgerinitiative auf den Plan getreten ist und selbiges zum Centralpark umgestalten will, kriegt er sich nicht mehr ein. „Das war doch mein und dein Notvorschlag“, feixt er, „von der Politik schnöde ignoriert und auch sonst von keinem ernst genommen. Dann erklärt eine Politikerin die Bevölkerung für dämlich und die Sache für politisch entschieden, gleich fühlt sich das Bürgertum am Nasenring gezerrt und geht auf die Barrikaden. Wunderbar!“
Moral von der Geschicht’? Erstens verstehen manche Politiker vom seltsam widersprüchlichen Wesen namens Volk herzlich wenig. Zweitens begreifen sie nicht: Dinge können politisch erst für entschieden gelten, wenn dieses Volk sie resignierend hinnimmt, sie ihm gleichgültig sind, oder es die Entscheidungen beklatscht. Keine der drei Bedingungen trifft für den Koblenzer Zentralplatz zu, weshalb die Sache wieder völlig offen ist. So ruft das Leben bisweilen in Erinnerung, dass Politik sich nicht im Tun von Politikern erschöpft. Daran sollte denken, wer mit der Findung eines neuen Intendanten für das Theater Koblenz befasst ist. Immerhin geht es um die Besetzung einer nachhaltig wirkenden Position von besonderem ÖFFENTLICHEN Interesse. Je transparenter das Procedere umso angemessener. Oder wie Walter sagt: „Nach geheimnisvollem Hokuspokus Kaninchen aus dem Zylinder zu ziehen, überlässt man besser den Illusionisten.“
Vor Illusionen scheinen gerade vermeintliche Pragmatiker nicht gefeit. Das bewies die Deutsche Bahn, als sie mitten im Eisenbahnerstreik mit millionenschweren Anzeigen die öffentliche Stimmung gegen die Streikenden wenden wollte. Klar, der Ausstand nervt. Doch seit wir wissen, was auf den Loks verdient wird, nervt Mehdorns Sturheit viel mehr. Und der wirtschaftliche Schaden? Ach Gott, der wird seit jeher bei jedem Streik bejammert.
Wie aber sähe die Welt heute aus, hätten nie starke Arme die Räder stillstehen lassen? Wie würde die Welt bald aussehen, gäbe es keine Gewerkschaften und Streiks mehr? Ich sehe ein paar Zeitgenossen, die bekommen glänzende Augen. Dazu Walter: „Vertut euch nicht, Herrschaften. So wie ihr eben zu ahnen beginnt, dass Einheitsgewerkschaften und Flächentarife wohl das Schlechteste nicht waren, so werdet ihr demnächst unter der Knute von Monopolen und Finanzspekulanten die Zeit noch halbwegs geregelter Geschäftigkeit und geordneter Arbeitskämpfe zurücksehnen.“