Mein Freund Walter ist ein Albtraum für die Wirtschaft. Denn: Er kauft nicht, weil es etwas (Neues) gibt, sondern wenn er etwas braucht. Folglich gibt er für Bücher und Wirtshausbesuche häufig Geld aus, für Klamotten nur gelegentlich und für technisches Gerät ausgesprochen selten. So kocht er Espresso seit seiner ersten Liebesnacht mit dem Dampfdruckkännchen, und steht befremdet dem Phänomen gegenüber, dass neuerdings jede Kaffeemarke einer eigenen Kaffeemaschine bedarf. Walters Toaster ist 14, sein Küchenmixer 18 Jahre alt. Die Stereoanlage hat mehr als zwei Jahrzehnte auf dem Buckel, und seine Bohrmaschine stammt vermutlich noch aus der Gründerzeit der Firma Black & Decker.
Dagegen hilft auch keine Werbeoffensive, Walter ist unempfänglich für Werbung – obwohl er mit Hingabe Werbespots verfolgt. Licht, Ton, Kamera, Dramaturgie, Witz oder Plattheit sowie der Protagonisten Schönheit oder Entstellung, darüber kann er sich nachher stundenlang auslassen. Wofür das betreffende Filmchen allerdings konkret wirbt, das entgeht ihm zumeist. Den Mann stört nicht im Geringsten, dass derartiger Benimm wachstumsfeindlich ist, also die Marktwirtschaft untergräbt. Und woher kommt diese Verweigerungshaltung? Sie ist das verfluchte Erbe von 68. Denn vor 40 Jahren ist die Welt aus den Fugen geraten. Die Jugend verlor den Respekt vor Alter und Konsumpflicht, vor Strebsamkeit und Heimatreich, vor Führung und Tradition, vor Ehe und Zeugungstugend, vor Gott, der Wehrmacht, Adenauer und den USA.
Seither haben wir den Schlamassel. Mit der Verbannung des Rohrstocks aus den Klassenzimmern und mit der Annahme von Hinz wie Kunz, auch sie hätten ein Recht auf höhere Bildung, fing die PISA-Krise an. Die Entnazifizierung der Universitäts-Lehrkörper eröffnete den Niedergang der deutschen Wissenschaft. Mit den studentischen Kommunen begann der Sturm auf die heilige Familie und die Flucht der Frauen vor ihrer Natur. Rudi Dutschke ist verantwortlich dafür, dass heute nicht mal mehr Geheimdienste dem US-Präsidenten ein iranisches Atombombenprogramm glauben. Und wie das damalige Gerede von sozialer Gerechtigkeit schuld ist am Ende des Wirtschaftswunders, also an Massenarbeitslosigkeit und Hartz IV, so ist das seinerzeit in Mode gekommene Schlechtreden des Kapitalismus Ursache für die heutige Massenpsychose namens Klimawandel.
Die 68er ruinierten die großdeutsche, pardon: die große deutsche Kultur derart, dass man im Land der Dichter und Denker nun abends ungeniert vorm öffentlichen Porno-TV rumzappelt, statt sich mit seinem Heftchen anständig unter die Bettdecke zu verziehen. Wenn stimmt, dass die Medien zwar ein verzerrtes, aber doch ein Spiegelbild der Gesellschaft sind, dann steht es sogar noch schlimmer. Dann nämlich verbringt eine Hälfte der Bevölkerung den Großteil des Lebens im Krankenhaus, während die andere Hälfte als Opfer, Täter oder Ermittler in Kriminalfälle verwickelt ist. Selbst in Koblenz toben hinter idyllischer Fassade in Wahrheit verderbte Spätfolgen von 68. Diesen Umstand deckt derzeit der Internet-Fünfteiler „C.S.I. Kowelenz“ mit ortsüblichem Feinsinn auf: Hei do lieht ä Laich am Deutsche Egg, Gauner in Küche und Keller selbst so ehrenwerter Etablissements wie Café Hahn und Circus Maximus, bescheuerte Polizisten ohne Autorität, Hurerei mitten in der Altstadt.
Walter blickt aufs Manuskript – und meckert: „Du spinnst wohl! Am Ende nehmen die Leute noch wörtlich, was du da schreibst.“ Ach was, Freund, unsere Leser können Satire unterscheiden von Rückblicken, die auf unschönen Nebenwirkungen und Ausflüssen von 68 so lange herumhacken, bis diese Rebellion selbst und mit ihr jedweder Gedanken an Rebellion als schierer Unfug erscheinen.