Mitte Juni. Blick aus dem Fenster. Der Himmel überm Mittelrhein grau in grau. Es regnet Bindfäden. Ach, wie trist. Was kann daraus nur werden? Ich weiß nicht, was soll es bedeuten… Da muss was geschehen! Da muss einer kommen! Ein Hoffnungsträger, eine Lichtgestalt! Ein Oberbürgermeister, der Koblenz aus dem von unverständigem Wahlvolk verursachten Chaos errettet! Welcher Kandidat hat das Zeug zu solcher Sisyphos-Arbeit? Der vor ein paar Jahren aus Mainz zugezogene oder der jüngst in Lahnstein ausgeliehene?
„Vorsicht“, mahnt mein Freund Walter, „keine Einmischung in politische Wahlkämpfe auf den Seiten dieser Zeitschrift.“ Derartige Beschränkung, erinnert er, hätte ich mir selbst auferlegt nach der letzten Bundestagswahl, als plötzlich die beiden großen Verlierer zusammen die Regierung übernahmen. Und nochmal, als bei der letzten Landtagswahl die Hälfte der angestammten Grün-Wähler aus lauter Schiss vor Schwarz-Gelb ihr Kreuzchen bei Rosa machten. Mit dem Ergebnis, dass in Mainz das historisch überholte Drei-Parteien-Parlament reanimiert wurde und die Epoche der Alleinherrschaft im Kurtfürstentum anhob.
Walters Erinnerung ist zutreffend. Aber, wie soll man sich in etwas einmischen, das es gar nicht gibt. Wo, bitteschön, fände in Koblenz Oberbürgermeister-Wahlkampf statt? Bis zur Niederschrift dieser Zeilen ward der eine Kandidat allüberall, der andere nirgends gesehen. Den einen kann man bei einer Daily Soap im Internet vom Frühsport bis zum Gutenachtkuss verfolgen, vom andern hört man kaum einen Mucks. Weshalb bislang kein Mensch behaupten darf, er wüsste irgendetwas über irgendwelche politischen oder sonstwie inhaltlichen Absichten, mit denen sich die Kandidaten um Stimmen und Amt bewerben.
Mag sein, das hat sich vom Schreiben bis zum Erscheinen dieses Aufsatzes geändert. Vielleicht haben die beiden mittlerweile substanzielle Wahlaussagen, gar Sachprogramme vorgelegt. Womöglich stellen die Kandidaten schon überall in öffentlicher Rede ihre künftigen Projekte vor und tragen darüber vor allem Volk Disputationen miteinander aus. Das wäre schön. Ich würde sofort mit dem Gemaule aufhören und stattdessen Walter zurechtweisen, der beim Blick ins Manuskript gerade was von „glauben an den Weihnachtsmann“ brummelt. Er geht sogar noch weiter und vermutet: Jetzt, da nach der Kommunalwahl im Rat der Mittelrhein-Metropole sieben Parteiungen um das Wohl der Stadt fechten, würden die OB-Kandidaten eher klammheimlich bedauern, jemals den Hut in den Ring geworfen zu haben.
Mein lieber Walter, das siehst du falsch. Zwei gestandene Politiker wie diese wissen sehr gut: Demokratie verspricht kein leichtes Regieren, sondern ist bei richtigem Funktionieren die edelste, aber auch schwierigste der bisher erprobten Staatsformen. Und richtig funktionieren tut die Demokratie, wenn Bürger sich in Politik einmischen, statt in der Wahlkabine ein Leben lang automatisch dasselbe anzukreuzen. Dass in Koblenz dabei sieben Stadtratsfraktionen herauskommen und auch andernorts am Mittelrhein mancher ewige Sieger plötzlich wie ein gerupftes Huhn ausschaut, das lässt sich ja schwerlich den Wählern zum Vorwurf machen.
So gesehen, muss ich eingestehen, dass mein anfänglicher Wunsch nach der Lichtgestalt eine doofe Idee ist. Erinnern Sie sich ans Märchen vom tapferen Schneiderlein? Der Hämpfling hatte „7 mit einem Streich“ erschlagen, war hernach als vermeintlicher Held zum Retter des Reiches aufgestiegen. Auf Koblenz übertragbare Moral von der Geschicht‘? Keine. Weil sieben Ratsgruppen sich nie aufs selbe Honigbrot hocken würden. Weil Riesen sich heutzutage von Schneiderleins nicht aufeinander hetzen lassen. Und weil emanzipierte Prinzessinnen für aufgeblasene Männermythen bloß gestreckte Mittelfinger übrig haben.