Heiliges Kanonenrohr, war das ein Jahr. „Tilt! 2009“ überschrieb Schandmaul Priol seinen Rückblick. Man kennt „tilt“ als Notwehrmaßnahme von Spielautomaten gegen giergeifernd auf sie einschlagende Spieler: Die Maschinchen verweigern mit dem Alarmhinweis „tilt“ den Dienst; der Einsatz ist futsch. Man muss Geld nachwerfen und kann mit etwas Glück ein neues Spiel beginnen. Oft ist auch dieser Einsatz vergeblich, weil der Apparat repariert oder gar verschrottet werden muss. Dann murmeln die Spielsüchtigen was von „Drecksmaschine“ – und fallen sabbernd, glotzäugig, mit glühenden Backen über den nächsten Automaten her. Passt doch prima auf 2009. Neue Hausordnung und strengere Gewerbeaufsicht für die Spielhöllen waren versprochen. Wir warten noch. Die Suchtbolzen nicht. Sie bekamen aus unserer Börse die Einsätze erstattet und frisches Spielgeld dazu. Ein Lob auf so viel Fürsorglichkeit, wäre doch das Wall-Street-Casino heute aus eigener Kraft ebenso wenig überlebensfähig wie es einst das moskowitische Pfandleihhaus war.
Bundestagswahlen. Das Volk hat sich eine neue Regierung gewählt. „Tilt!!“, blafft Walter vom Küchentisch her, wo er über seltsamen Berechnungen brütet. Tilt, wer? „Wahlvolk, Regierung sowieso“, knurrt er. So geht das schon Monate, sobald die Rede aufs Polit-Personal kommt. Mit „hör uff, ich krieg die Krätze“, lehnt der Freund seit der Saar-Koalition jedes Gespräch über die Grünen ab. Zum Regierungsantritt Westerwelles: „Bringe dem Mann bloß niemand bei, was ,für unser Land‘ auf englisch heißt; die Übersetzer würden arbeitlos.“ Zur beliebtesten Politikerin: „In Frankreich ist das seit 1789 ein stürmisches Prachtweib mit Jakobinermütze und Gewehr auf der Barrikade. Bei uns: Angela Merkel.“ Zu den neuen SPD-Hoffnungsträgern: „Gut genährt, beide.“ Beide? „Gabriel und die Eifel-Walküre.“ Ach Walter, hast du kein gutes Wort mehr? „Doch, zwei sogar: 1. Deubel, 2. Jung.“
Nachvollziehbar ist des Freundes Verdruss schon. Man denke an den Wettbewerb um den Großen Preis von Nürburg. Der SV Sozi-Beck stürmt selbstbewusst über unsicheres Terrain. Die Gegenmannschaft von Union Baldauf setzt mit der bei TuS-Koblenz abgeschauten Offensivstrategie nach. Dank einer neuen, reizenden Galionsfigur kann sie ein paar Zentimeter aufholen. Doch was ist das? Unionsrammbock Billen bläst zum Sturmlauf – und reitet seine Mannschaft mit perfiden Fouls dahinein, wo die Beckschen Ring-Kämpen schon stecken: bis zur Halskrause im Sumpf. Welch ein dröges Spiel!
Was rechnet Walter da am Küchentisch herum? Er kalkuliert, ob er ins Fährgeschäft einsteigen soll. Die Idee kam ihm beim Aktenstöbern und Belauschen von Gesprächen unter Koblenzer Stadthonoratioren. Da fielen ihm nebenbei Planänderungen für den Geschäftsbau auf dem Zentralplatz auf. Der Bau folgt fortan Potemkinscher Architektur: Statt Fensterwänden kriegt er obenrum eine Billigverkleidung, die als größtes Weinlauben-Imitat Deutschlands berühmt werden könnte. Wichtigste Erkenntnis aus Walters Spioniererei ist allerdings: Koblenz wird Insel. ??? „Investitionsstau. Pfaffendorfer Rheinbrücke und B9-Moselbrücke sind zeitgleich überreif für Generalsanierungen mit Vollsperrung. Wenn nächstes Jahr obendrein die Konzession für den städtischen Nahverkehr europaweit ausgeschrieben werden muss und der bisherige heimische Betreiber womöglich von Polen oder Spaniern ausgebootet wird – dann ließe sich mit Fährdienst schön Geld verdienen.“
Kummer macht ihm nur noch die derzeit durch einige Bürokratenhirne spukende Idee einer „Gestaltungssatzung“ für die Gastronomie an der Rheinpromenade. „Gleichgeschaltetes Aussehen der Terrassen. Kneipen in Uniform. Fehlt bloß noch eine amtliche Bekleidungsvorschrift für die Gäste, dann wär mein Fähr-Konzept vollends im Eimer.“