Portrait Andreas Pecht

Andreas Pecht – Kulturjournalist i.R.

Analysen, Berichte, Essays, Kolumnen, Kommentare, Kritiken, Reportagen – zu Kultur, Politik und Geistesleben

Ohne Faulheit keine Klugheit

Das ist mal wieder einer der für diese Kolumne typischen Kalauer, werden Sie bei der Überschrift denken. Generation um Generation hieß es schließlich: Ohne Fleiß kein Preis. Und mühen sich nicht aktuell Heerscharen von Pädagogen redlich um Optimierung des Lernens, Pharmakologen um segensreiche Pillen zur Steigerung der Hirnleistung? Nun kommt dieser Schreiberling daher und bindet uns einen Bären auf von wegen „ohne Faulheit keine Klugheit“.

Nix Bär, Herrschaften! Die Wortwahl für den Spruch stammt zwar von mir, aber dem Sinn nach ist er Ergebnis höherer Naturwissenschaft modernsten Zuschnitts: der Hirnforschung. Wie anders sollte man jenen unlängst entdeckten Mechanismus im Gehirn deuten, den die Forscher „Offline-Modus“ nennen – und der in jedem Kopf automatisch anspringt, sobald der dazugehörige Mensch zielgerichtetes Werkeln sowie konzentriertes Denken einstellt. Was tut dieser Mechanismus? Er bringt Ordnung in das Kuddelmuddel dessen, was wir tagtäglich neu lernen, erfahren, erfühlen, uns ausdenken, zurechtgrübeln. Und er baut den Zuwachs an Hirnschmalz erst sinnvoll in die individuelle Schatzkammer aller bisherigen Lebenserfahrungen ein.

Der Witz ist: Das Gehirn macht das ohne unser Zutun von sich aus, im Schlaf und in Phasen des Innehaltens. Dann also, wenn der Körper entspannt und Gedanken ziellos dahintreiben. Ein Zustand, den man gemeinhin Muße nennt oder zu Unrecht Faulheit schimpft. Und jetzt Obacht bitte: Das Gehirn macht das nur, wenn man es auch lässt. Kurzum: Die ganze sich immer mehr beschleunigende Lernerei, Denkerei, Plackerei, auf die unsere Zivilisation so abfährt, ist für die Katz, macht uns nachgerade blöde, sollte kein ordentliches Quantum vom Gegenteil bleiben: Gemächlichkeit bis hin zum unverzichtbaren Nichtstun.

Viele der bedeutendsten Geistesleistungen der Geschichte entspringen dem Müßiggang. Dem antiken Philosophen Diogenes kamen die klügsten Ideen bekanntlich beim Relaxen im Fass, Descartes unterm Plumeau seiner Schlafstätte, Goethe zwischen süßem Tal und weiten Höhen der Christiane Vulpius. Voltaire und Rousseau wären belanglos, hätte sie nicht beim Flanieren mancher Geistesblitz getroffen. Mozarts Genius erfuhr maßgebliche Inspiration während weinseliger Stunden im Entspannungs-Etablissement. Für viele große Geister war Muße die wichtigste Muse. Mit Fug und Recht hängte deshalb der Dichter Saint-Pol-Roux, sobald er sich zum Mittagsschlaf niederlegte, das Schild vor die Tür: „Poet bei der Arbeit“.

Da wir dank neuester Hirnforschung nun wissen, dass erst Ausschlafen und Müßiggang –  also Nichtstun und Faulheit – Ordnung und damit Klugheit ins Oberstübchen bringen, empfehlen wir  Politikern und Managern, ihre Terminkalender zu entrümpeln. Was nutzt es, wenn sie 14 oder 16 Stunden ackern, aber mangels Mußephasen sowieso nichts Gescheites dabei rauskömmt. Was uns selbst angeht, dürften viele bald feststellen: Wir haben das Nichtstun verlernt. Ein mit leistungsorientierten Freizeitaktivitäten prall gefüllter Feierabend- oder Urlaubsplan ist so wenig Nichtstun, wie sich mit stundenlangem Fernsehkonsum zu malträtieren. Das mag sich zwar etwas angenehmer anfühlen als reguläre Arbeit, das Gehirn allerdings macht keinen großen Unterschied zwischen Broterwerb und Freizeitmaloche. In den Offline-Modus kann es hier wie da nicht schalten.

„Weshalb es“, so das ätzende, aber durchaus logische Resümee von Freund Walter, „kaum weiters verwundern darf, dass der heutige Zeitgeist eine große Dummheit ist: Es fehlt ihm einfach die Klugheit schaffende Kulturtechnik der Faulheit.“   

Andreas Pecht

Kulturjournalist i.R.

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