In diesem Augenblick: Während ich versuche, schreibend querzudenken, sitzt Freund Walter zwei Meter hinter mir am Fernseher. Fieberglanz in den Augen, Schaum vorm Maul. Gegeben wird das WM-Spiel Deutschland/Serbien – und Serbien führt. Wenigstens hockt er nicht mit Nationaltrikot im Lehnsessel, wedelt nicht mit der Deutsch-Trikolore vor der Mattscheibe herum und hat auch keine der Tröten aus seiner neuen Vuvuzela-Sammlung mitgebracht.
Apropos Vuvuzela. Bekanntlich bin ich gegen Lärm allergisch, die Aufregung über afrikanische Blaseorgien kommt mir trotzdem spanisch vor. Oder besser: deutsch. Oder noch besser: gartenzwergisch. Beim Fußball ist es traditionell überall laut; liegt wohl in der Natur der Sache. Hierzulande wird getrommelt, getrillert, gerasselt, gehupt, gegrölt, manchmal mit Knallfröschen gezündelt. Und, mit Verlaub: Ich weiß nicht, was grausiger klingt – die ausgelassene Trompeterei am Kap oder die Kelten-, Wikinger-, Germanenschreie, die besoffene Nordlichter beim Fußball ausstoßen, als zögen sie in eine Schlacht (was sie bisweilen ja auch handgreiflich tun).
Außerdem stehen Vuvuzelas für die globale Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft: Wurden doch Millionen dieser Dinger im Auftrag einer Düsseldorfer Firma in Bad Kreuznach gefertigt. Sollte am Ende gegen alle (eben noch) unverbrüchlichen Überzeugungen die deutsche Mannschaft nicht Meister werden, so würde die 2010er WM dennoch als ein von Deutschland geprägtes Turnier in die Geschichte eingehen – dank Vuvuzela. Was also soll die Nörgelei? In alle Welt Panzer verkaufen, aber jammern, wenn die dann schießen: So geht`s nicht! Wem das WM-Getröte zuviel wird, der kann ja den Fernsehton abdrehen. Man wäre obendrein das hysterische Getöne von Herrn Béla Réthy los.
Vor Spielbeginn hatte Walter noch gegrummelt: „Das mit Lena nervt.“ Häh? Was hat uns‘ Lenchen mit Jogis Truppe zu schaffen? „Ei, stell dir vor: Jetzt gewinnen wir nach dem Eurovisions-Gesinge auch noch die WM. Die Teutonen schnappen über. So viel Erfolg wird dann womöglich vor lauter Nationalstolz für deutsche Übergröße gehalten. Das könnte einem fast den Spaß am WM-Sieg verderben.“ Ich muss gestehen, mir ist das alles zu hoch mit diesem Nationalstolz. Wieso soll mir die Brust schwellen und ich auf Deutschland stolz sein, nur weil eine reizende Göre aus Hannover einen internationalen Wettbewerb für schlechte Musik gewinnt? Oder wenn eine hier zusammengestellte Mannschaft in Afrika ordentlich Fußball spielt?
Was hat Lena mit mir zu tun? Leider gar nichts. Was trage ich zur Leistung der Fußballer bei? Nix. Was können, umgekehrt, die Kicker oder das arme Lenchen dafür, dass eine Gurkentruppe die Regierung Deutschlands zur Lachnummer macht? Da ich zufällig in diesem Land geboren und geblieben bin, muss ich mich über Letzteres schwarzärgern. Über Lenas Erfolg hingegen könnte ich mich freuen – wäre ihr Liedtext nicht derart bescheuert. Erfreuen kann mich auch ein gutes Spiel der deutschen Fußballer. Und sollte diese Mannschaft die WM sportlich verdient gewinnen, kriegt sie meinen Beifall. Freude, ja; Applaus, gerne. Aber Nationalstolz? Ich begreife es nicht.
Bleibt die Frage: Walters neue Vuvuzela-Sammlung? Der Freund hortet die Tröten, weil er sie für einen „innovativen Beitrag zur Demonstrations-Kultur“ hält. „Effektiver als Trillerpfeifen. Instrumente, die die Mauern von Jericho zum Einsturz brachten, können verschrumpelte Gurken allemal vom Stängel blasen.“ Trööööööööööttt!!! – Nachtrag: Walter ist knatschig. Weil Deutschland Serbien unterlag? Nein, „weil meine Mannschaft gegen diejenige aus Serbien verloren hat“.