Erst sollte hier eine andere Überschrift der Menschheit folgende Alarmierung zurufen: „Die Cyborgs sind da!“ Auf die Bedrohung stieß ich neulich erstmals beim etwas frustierten Flanieren mit Freund Walter durch die etwas verbraucht wirkende Innenstadt von Neuwied: in Person eines auf den ersten Blick gewöhnlichen Mannes. Mit seinem drögmodischen Businessanzug gleicht er dem Agent Smith aus dem Film „Matrix“. Zufall? Jedenfalls stapft der Typ durch die Fußgängerzone und trägt einen lautstarken Disput aus mit – niemandem. Er spricht zur Luft. „Guck dir mal den Handy-Freak an“, feixt Walter. Aber jener hat gar kein Handy in der Hand, wedelt vielmehr mit beiden Armen herum, durchaus die Unversehrtheit naher Passanten gefährdend.
Ist dieser Zeitgenosse bloß meschugge? Oder was geht da Seltsames vor, dass jemand sich mitten in Neuwied aufführt, als müsse er ein unsichtbares Heer auf die Schlacht einschwören. Und dann entdecke ich es – das künstliche Organ an dem Typen: eine technische Geschwulst, die hinter seinem rechten Ohr beginnt, sich über die Schläfe krümmt und zum Wangenknochen hin ausläuft. Ein Cyborg, ein Maschinenwesen als Mensch getarnt oder ein vormaliger Homo sapiens zur Maschine mutiert. Es ist so weit, sie sind unter uns – und die grausigsten Fantasien meiner Sciencefiction-Bibliothek Wirklichkeit geworden. Als ich diesen Verdacht Walter zuflüstere, möcht‘ der sich wegschmeißen vor Lachen: „Alter Depp, das ist nur eine Weiterentwicklung der Handy-Technik.“ Wäre dies eine Filmszene, würde der Depp den Freund nun unverwandt anschauen und leise sagen: „eben.“
Gleich giftet’s wieder aus der Leserschaft: „Sind sie etwa gegen technischen Fortschritt, Herr Pecht?“ Nö, bin ich nicht. Zumindest dann nicht, wenn er hilft, das Leben wirklich lebenswerter zu machen und besser mit dem Planeten auszukommen. Aber meist ist das nicht der Fall. Wir kaufen allfällige Mobilität, allzeitige Erreichbarkeit, allseitige Bequemlichkeit, allumfassende Information… . Was kommt heraus dabei? Wir werden bloß kurzatmiger, hektischer, verfügbarer, fetter, gedankenloser, dämlicher. Hallo Sie da, Herr oder Frau Leser/in: Sie halten sich für die Ausnahme von der Regel, richtig? Ernsthaft in den Spiegel geschaut, werden Sie feststellen, dass Sie irren. Geht mir genauso – jeden zweiten Abend vor der Flimmerkiste, jeden Tag stundenlang im Internet oder mit dem Handy im Handschuhfach des Autos, das jedes Jahr auch ein paar Tausend ziemlich überflüssige Kilometer auf den Tacho kriegt.
Aber die Wedel-Mode, die werde ich auf keinen Fall mitmachen! Armwedelnde Geschwulsttelefonie; Findergewedel kreuz und quer, um mit dem iPhone selbst im Wirtshaus oder im Liebesnest am Pulsschlag der Netzwelt zu sein – kommt nicht in die Tüte. Fernseher mit Wedel-Steuerung – kommt nicht ins Haus, denn ich will mir im eigenen Wohnzimmer doch kein Gestikulier-Reglement aufzwingen lassen. Und die Sparkasse kann ihre neuen Funkbezahlkarten auch behalten. Ich werd‘ doch nicht im Supermarkt mit der Karte vor dem Kassenautomaten herumwedeln. Ich geh weiter mit Bargeld einkaufen, und gebe es nur in Geschäften aus mit Personal aus Fleisch und Blut. Und der Fortschritt? Der kann mich mal, wenn er bloß aus fortschreitender Cyborg-Unterwanderung besteht und uns eintrichtern will, der Mensch sei erst richtig Mensch, wenn er kauft – und wedelt.