Fotoausstellung auf der Festung Ehrenbreitstein in Koblenz
(Unkorrigiertes Redemanuskript des Einführungsvortrages, gehalten bei der Eröffnungsveranstaltung 23.3.2013)
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Liebe Gabi, lieber Detlef,
meine sehr geehrten Damen und Herrn,
das Nachdenken über Fotografie bewegt sich seit den Kindertagen dieses Mediums zwischen zwei Extremen. Auf der einen Seite steht der sprichwörtliche Hymnus: „Ein Bild sagt mehr als tausend Worte“. Auf der anderen Seite eine misstrauische Position, die in dem harschen Satz mündet: „Die Kamera lügt“.
Dass Fotos mit der Wirklichkeit, die sie abzubilden behaupten, oft herzlich wenig zu tun haben, wissen wir alle. Seit mit der Digitalisierung die Möglichkeiten der nachträglichen Bildverfälschung explosionsartig zugenommen haben, kann man etwa die Titelbilder sämtlicher Illustrierten als Lügen verstehen.
Es sind aber nicht nur die neuen Techniken, derentwegen man den Wahrheitsgehalt von Fotos unter Vorbehalt stellt. Manipulative Möglichkeiten liegen seit jeher im Wesen der Fotografie selbst. Beispiel: Für einen Fotografen mit gutem Auge und böser Absicht wäre es ein Leichtes, im Laufe des Abends auch von den Klügsten hier im Raum Schnappschüsse zu machen, auf denen sie alles andere als klug ausschaun. Er müsste nur im rechten Moment aus einem gewissen Blickwinkel mit passendem Zoom und gezielter Schärfeneinstellung auf den Auslöser drücken: und schon stehst du dumm da.
Weiteres Beispiel, aus einem ganz anderen Bereich: Als vor einiger Zeit dieser unsäglich amerikanische Mohammed-Film bekannt wurde, erwarteten alle einen gewaltigen Wutsturm in der ganzen muslimischen Welt. Die Bilder, die in den Folgetagen durch die Medien gingen, schienen diese Erwartung zu bestätigen: Sie zeigten wieder und wieder zornige bis gewalttätige Protestierer. Diese Bilder waren wahr in dem Sinne, dass es die gezeigten Demonstanten tatsächlich gegeben hat. Aber sie waren nicht wahrhaftig: Man bekam tagelang nur Nahaufnahmen von einigen entfesselten Menschen zu sehen, nie einen größeren Raumauschnitt. Dann nämlich wäre zu erkennen gewesen, dass die Protestgruppen klein sind, oft nur aus ein paar Dutzend bis wenigen Hundert Menschen bestehend.
Solch mickrige Aufläufe sind eigentlich keine Weltnachricht wert. Weshalb der lauthalse Erregungsjournalismus die allgemeine Erwartungshaltung mit gezielten Bildausschnitten bediente. Die sollten exemplarisch eine vorgeblich weltweite Zorneswelle der muslimischen Massen belegen.
Will sagen: Auch NICHT künstlich gestellte und NICHT nachträglich bearbeitete Fotos bieten kein objektives Abbild der Realität. Fotos sind allemal subjektiv ausgewählte, kleine Ausschnitte aus einem viel größeren räumlichen Ganzen und nur winzige, aus dem Zeitfluss der Wirklichkeit herausgepickte Augenblicke. Insofern kann die Fotografie für Lug, Betrug und Manipulation benutzt werden. Und wir alle sind dieser Art der Nutzung tagtäglich tausendfach ausgesetzt.
Warum hacke ich hier auf den dunklen Seiten des Mediums herum? Um sie einzustimmen auf deren Gegenteil. Um sie empfindsam zu machen für die Begegnung mit rund 60 Fotos, die teils einem ganz anderen Verständnis von Journalismus entspringen oder sich teils von der journalistischen Zweckbindung völlig emanzipiert haben. Diese in einem Zeitraum von mehr als 30 Jahren entstandenen Fotos haben eines gemeinsam: Das Bemühen ihrer beiden Schöpfer um Wahrhaftigkeit. Nicht objektive Wahrheit (!) – die kann es in diesem Metier nicht geben. Die Bildauswahl für diese Ausstellung war subjektiv. Ebenso wie zuvor draußen in der Welt Gabi Novak-Oster und Detlef Oster jedesmal aus subjektiver Spontanität heraus entschieden haben, dieses oder jenes Motiv abzulichten.
Auf den Begriff „Bemühen um Wahrhaftigkeit“ kam ich vor einigen Wochen nach einem Besuch bei den beiden daheim. Dort begegnete ich den für die Ausstellung ausgewählten Fotos erstmals – und zwar in der reinen Form, noch ohne Untertitelung. Wie die meisten von Ihnen kannte ich bis dahin Fotos von Gabi vornehmlich aus den großen Schicksals- und Human-Reportagen, die sie über viele Jahre für die Rhein-Zeitung schrieb und auch mit eigenen Fotos bebilderte.
In der Zeitung fungierten die Bilder einerseits als Rufzeichen, als Blickfänger, um Leser in die Lektüre des Textes zu ziehen. Andererseits dienten sie als betroffen machender bildlicher Beleg für das Geschriebene. Gabis Bilder setzten quasi ein emotional begründetes Ausrufezeichen hinter ihren Text. Da bildeten das Foto und 1000 oder auch mal 2000 Worte eine Einheit. Für die Geschichte, die in der Zeitung zu erzählen war, brauchte es das Bild UND die Worte.
Weil beide, Gabi Novak-Oster und Detlef Oster, ursprünglich von der schreibenden Zunft kommen und dem Schreiben Zeit ihres Berufslebens auch treu blieben, wissen sie: Ein Bild sagt NICHT mehr als Tausend Worte – es sagt etwas anderes und sagt es anders als das Wort. Fotos können Aspekte des Menschlichen ausdrücken und Empfindungen auslösen, für die es womöglich gar keine Worte gibt. Fotos können Wirkungen von einer Unmittelbarkeit entfalten wie gutes Ballett oder Instrumentalmusik: Unter Umgehung der Ratio schlagen sie ein Brücke direkt zum Herzen.
Mag sein, es war diese Eigenart der Fotografie, die beide dazu verlockte, dem Medium in ihrem beruflichen wie privaten Leben einen stetig größer werdenden Raum zu geben. Bis schließlich in Richtung Ruhestand das Fotografieren zur primären Passion geworden ist und die Sphäre des Journalismus vollends verlassen hat.
Wir waren beim „Bemühen um Wahrhaftigkeit“, das ich in den Ausstellungsbildern zu erkennen glaube. Dieses Bemühen kommt schon in Bedingungen zum Ausdruck, die sich Gabi und Detlef selbst auferlegt haben: Kein Bild wird motivisch verändernd nachbearbeitet, keines als Ausschnitt einem größeren Foto entnommen, jedes Bild bleibt in seiner aufgenommenen Ganzheit erhalten; kein Motiv wird gestellt, sondern alle sind vom wirklichen Leben hier und anderwärts vor die Kamera gespült.
Oder sagen wir besser: Vor die Kameras (Mehrzahl). Denn die beiden waren und sind sehr viel gemeinsam unterwegs, und sehr oft fällt ihnen gleichzeitig dasselbe Motiv ins Auge. Dann zückt jeder seinen Apparat und beide halten drauf. So war in der Fotosammlung des Paares bald kaum mehr unterscheidbar, welche Aufnahme von wem stammt. Diese Zuordnung ist ihnen inzwischen gleichgültig geworden. Weshalb Sie, meine Damen und Herrn, in der jetzigen Ausstellung auch keine namentlich differenzierende Auszeichnung finden werden. Verstehen Sie die Fotos der beiden als eine Art Kollektiv-Oeuvre.
Einer der verrücktesten Aspekte an dieser Ausstellung ist: Jeder von uns begegnet im Alltag oder auf Reisen Bildmotiven, wie den von Gabi und Detlef festgehaltenen. Aber kaum einer sieht sie, wir sind gewissermaßen blind dafür. Kaum einer erkennt die vielschichtigen oder poetischen oder witzigen oder auch erschütternden Botschaften – die die Wirklichkeit wieder und wieder für kurze Momente zu hinreißenden Szenen inszeniert. Das Leben schreibe die besten Geschichten, heißt es. Das Leben stellt auch die besten Fotomotive.
Den besonderen Augenblick in der steten Flut der Realität sehen, die Intensität dieses Augenblicks spontan spüren und dann mit einem Grundrespekt vor den „Opfern“ die Kamera draufhalten: Das ist das Geheimnis der Momentaufnahmen von Gabi Novak-Oster und Detlef Oster. Oft sind ihnen beim Drücken des Auslösers die Qualitäten des Motivs gar nicht bewusst. Sie spüren nur intuitiv: das hat was, da ist was. Vielfach werden erst beim nachherigen Betrachten der Fotos Raffinessen und bisweilen komplexe Hintergründigkeiten der fotografierten Szenerie deutlich.
Meine Damen und Herrn, lassen Sie sich Zeit beim Betrachten der Fotos, auch mehrfaches Hinschauen lohnt sich: Denn in jedem großen Bild stecken meist mehrere kleine und hinter der Grundstimmung einer Aufnahme verbergen sie allerhand berührende Unterschwingungen oder verblüffende Verweise. Und manches Bild bündelt ganze Lebensgeschichten – solche die hinter den Abgelichteten liegen und solche, die womöglich noch vor ihnen liegen.
Nicht, dass diese Geschichten tatsächlich erzählt würden. Dazu ist ein Foto nicht in der Lage. Dazu braucht es das Wort, braucht es viele Worte, tausend und noch viel mehr. Aber wir erkennen in den Bildern die ganzheitliche Essenz von gelebtem Leben, wie sie sich in Gesichter, Körper, Haltungen etwa alter Menschen eingegraben hat. Senioren und Greise sind in der Ausstellung zahlreich vertreten. So unterschiedlich deren Verhärmungen ausfallen mögen, lassen ihnen die Bilder doch eine faszinierende und auf unterschiedliche Weise tief beeindruckende Würde.
Kein Foto ohne Menschen drauf: elende, traurige, vergnügte und spleenige, verschlafene oder aktive, bei sich seiende oder nur in der Welt seiende, immer wieder auf irgendetwas oder irgendjemanden wartende…
Das sind Momentaufnahmen aus dem Dasein individueller Angehöriger unserer seltsamen Spezies. Momentaufnahmen, die trotz ihres Einzelfallcharakters aus sich selbst heraus immer wieder exemplarische Dimensionen annehmen.
Das sind Aufnahmen, die niemanden von irgendetwas überzeugen möchten und keinem irgendetwas verkaufen wollen – die aber gerade wegen dieses Bemühens um Wahrhaftigkeit uns zu genauem Hinschauen anregen. Auf solches Hinschauen folgt das Abenteuer des Innehaltens, des Entdeckens, Interpretierens, Fühlens, Nachdenkens. Nicht mehr, nicht weniger – doch das ist ziemlich viel heutzutage.
Meine Damen und Herrn, lassen Sie sich ein auf dieses Abenteuer. Danke.
Andreas Pecht