Portrait Andreas Pecht

Andreas Pecht – Kulturjournalist i.R.

Analysen, Berichte, Essays, Kolumnen, Kommentare, Kritiken, Reportagen – zu Kultur, Politik und Geistesleben

Heureka! Der Ball ist rund

ape. „Darf man Fußball auch hassen?” Mit dieser Schlagzeile ging mein Leib- und Seelenblatt „Die Zeit” in die erste WM-Woche. Hassen – das finde ich ein bisschen arg, verehrte Kollegen/innen. Auch wenn angesichts der derzeitigen Massenwelle schier narrischer Liebe zur Kickerei die Betrachtung des emotionalen Gegenteils publizistisch nahe liegt. Natürlich darf man im Kopf alles. Die Gedanken sind frei, hierzulande ist es sogar das Wort. Trotzdem sollte sich dieser Tage jeder gut überlegen, ob und wo er Abneigungen gegen Fußball offenbart. Bei TV-Interviews unter sich vor Großleinwänden in schwarz-rot-güldener Kostümierung vergnügenden Fans war bisweilen zu hören: Deutsche, denen die WM mitsamt Abschneiden der deutschen Mannschaft schnurzpiepegal ist, seien „bekloppt” oder – da wird’s nun doch etwas gruselig – „undeutsch”.

Bekanntlich ist mein Interesse an dieser Sportart mäßig. Dennoch kann ich einem guten Spiel durchaus einiges abgewinnen. Als Zuseher, versteht sich. Selbst Ball und Mitspieler zu treten, käme nie infrage. Grund: Ich bin bei zwischenmenschlichen Kulturtechniken (zu denen auch der Mannschaftssport gehört) zwar mit den Händen recht geschickt, aber mit den Beinen leider ziemlich ungehobelt. Weshalb Körpereinsatz, bei dem Handspiele mit Strafstößen oder Rausschmiss geahndet werden, meine Sache nicht ist.

Beim ersten WM-Spiel mit deutscher Beteiligung (kurz vor Verfassen dieses Textes) hielt sich das Genusspotenzial für mich in Grenzen. Führungstor gegen Portugal durch Elfmeter in der 12. Minute, ab der 37. nur noch zehn demotivierte Gegenspieler, 3:0-Pausenstand: Damit war die Begegnung ergebnistechnisch zwar ein Fest für die Mannen aus Deutschland, aber hinsichtlich Spannung und Fußballkunst nach der ersten Hälfte schon vorbei. Freund Walter, von der Fußballeritis dauerinfiziert, führte dennoch die zweite Halbzeit hindurch Freudentänze auf und gab lautstark die befremdliche Losung aus: „Und jetzt schlachten wir Portugal!” Mir kommt das, mit Verlaub, unsportlich, ja unritterlich vor. Welche Ehre sollte gewinnen, wer einem bereits am Boden liegenden Gegner noch Tor um Tor reintritt. Es schossen dann „die Unsrigen” gottlob nur noch eines.

Nachher, so ist zu hören, hat Portugals Boulevardpresse den Schiedsrichter aus Serbien als deutschfreundlichen Schieber durch den Fleischwolf gedreht. Was ungerecht ist: Der Mann urteilte hart, aber in der Sache tadellos. Die Schiedsrichterei ist halt ein undankbarer Job; bei umgekehrtem Spielverlauf hätten „Bild” und Co. wohl eine serbisch-portugiesische Verschwörung angeprangert. Überhaupt scheint das eine Gesetzmäßigkeit im Fußball zu sein: Die Verliererseite sieht im Schiri den schuldigen Depp; und da immer einer verliert, bleibt der Unparteiische selten ungeschoren. Liebe macht eben blind, weshalb auch der Fußballgemeinde die Hass-Frage gestellt werden kann: Darf man Schiedsrichter oder gegnerische Mannschaften oder Fußballverächter hassen?

Oder mal andersrum gefragt: Kann man den Fußball angesichts seiner kommerziellen und verbandspolitischen Verhurung noch mit heißblütiger Unschuld lieben? Jetzt ist es an Walter, auf den Tisch zu hauen: „Ja verdammt, man kann, darf, soll! Wir lassen uns doch von Werbefuzzis, miesen Geldsäcken und korrupten Funktionären den Spaß am Spiel nicht verderben – solange der Ball rund ist und zwei Mannschaften eifrig um ihn ringen.” Heureka!

 

(Erstabdruck/-veröffentlichung außerhalb dieser website 26./27. Woche im Juni 2014)

Andreas Pecht

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