ape. Na, wie fällt eure Sommerbilanz aus? Freund Walter macht nach wetterstatistischem Rückblick auf die letzten Jahre diesen Vorschlag: „Sommerferien künftig splitten – einen Teil auf Mai/Juni verlegen, einen anderen in den September. Juli/August sind als neue Jahreszeit unter Kühlregenperiode zu verbuchen.” Nach zwei Wochen Pullover-Urlaub im August an der mecklenburgischen Ostseeküste kann ich das nur unterschreiben. Deshalb gilt meine Hochachtung jenen Ostseeliebhabern jeden Alters, die sich selbst durch zugige 15 Grad das Strandvergnügen nicht vermiesen ließen. In den Seebädern füllten Vermummte und Freihäutige in chaotischer Eintracht Strände und Promenaden. Klasse! Wann hat man schon Sommer- und Wintermode auf demselben Laufsteg?
Mir reichte Strand denn auch für Morgen- und Abendspaziergang. Dazwischen kulturhistorische Entdeckungstouren durch Ossi-Land per Automobil. Das aber nur mit guter Karte abseits der Autobahnen – weil im Urlaub eben der Weg das Ziel ist und die Navi-Tante dir bloß die Sinne für Region und Landschaft verkleistert. Wismar, Schwerin, Güstrow und noch eine paar Schönheiten schätzen gelernt. Rostock kannste vergessen. Und was zur Hölle mag Angela Merkel 2007 ihren G8-Gipfelgästen in den Kaffee getan haben, dass die nicht depressiv wurden angesichts der Verfallstristesse im ältesten deutschen Seebad Heiligendamm.
Ansonsten ist dieses Mecklenburg eine schöne Gegend mit etlichen hübschen Städten und Städtchen darin. Die haben allerdings fast alle das gleiche Leiden: unglaublich hässliche Ortsein- und -ausgänge. Da flattern die Fahnen und protzen Plakate zuhauf, als feiere die SED selig wieder Parteitag. Nur ist die Signalpracht diesmal ein Westimport und winkt das Volk auf die immergleichen Parkplätze und in die immergleichen Einkaufshallen der immergleichen Handelsketten Lidl, Netto, Aldi, Rewe und Co. Kurzum: Jeder größere Ort hat sein meist recht neues Gewerbegebiet oder auch zwei bis drei. Und bist du da drin, vergisst du sofort, ob du in Mecklenburg, Sachsen, Rheinland-Pfalz oder Bayern urlaubst.
Denn die Konzernarchitekten haben einfach auf den Osten übertragen, was sie zuvor im Westen eingeübt hatten: Sie kümmern sich einen Dreck um örtliche Architekturtradition oder passende Umgebungseinbindung. Die Authentizität eines Ortes geht ihnen am Allerwertesten vorbei. Sie besatzen die Landschaft mit ihren vermeintlich modernen Blechbüchsen und Kaufbaracken. Diese kennen von der Ostsee bis zu den Alpen nur eine Norm: firmeneigene Corporate Identity, unentwegt schreiend „Kaufen! Kaufen! Kaufen! Bei uns! Bei uns! Bei uns!” Kurzum: Die mecklenburgischen Städte sehen an den Einfalls- und Ausfallsstraßen leider genauso trostlos aus wie die Vorfelder von Koblenz, Neuwied, Lahnstein oder Montabaur.
Um also in der Fremde Anderes als daheim kennenzulernen, muss man hinein in die Altstädte. Denn einzig in ihrer historischen Bausubstanz behaupten die Orte noch etwas individuelle Unverwechselbarkeit (sofern man davon absieht, dass auch die innerstädtischen Fußgängerzonen von den allüberall gleichen Filialistenketten dominiert werden). Sage noch mal einer, Kapitalismus zeichne sich durch Vielfalt aus. So viel banale Gleichmacherei wie jetzt gab es nie – hüben nicht, drüben auch nicht. Worauf Walter singt: „Der Profit, der Profit, der hat immer recht …” (neue Variation der alten SED-Hymne „Die Partei hat immer recht”).
(Erstabdruck/-veröffentlichung außerhalb dieser website 39. Woche im September 2014)