ape. Rommersdorf/Neuwied. Rund eineinhalb Jahrhunderte liegen zwischen den Wiener Lebzeiten von Franz Schubert und Georg Kreisler. Ersterer tief verwurzelt in der Empfindsamkeit früher Romantik. Letzterer als Zeitgenosse und Bruder im Geiste des absurden Beckett- und Ionesco-Theaters der 1950er „eine Mischung aus Frank Wedekind, Maurice Chevalier und Kurt Weill” (Theaterkritiker Hans Weigel). Beim zweiten Konzert des diesjährigen RheinVokal-Festivals ließen „Die Singphoniker” in der Abtei Rommersdorf bei Neuwied Lieder der beiden mit- und gegeneinander antreten.
Sechs Herren umfasst das renommierte Ensemble: fünf starke Singstimmen vom einem wunderbar vollen, doch nie dröhnenden Bass bis zum schier knabenhaft lichten Counter; teils begleitet vom Mann am Klavier, teils pur a-cappella. Auch für diese hochkarätige, 1980 von Studenten der Müchner Musikhochschule gegründete Truppe ist die Abteikirche Glücksfall und Herausforderung zugleich. Denn kein Kirchenraum in weiter Umgebung hat eine so eigenwillige Akustik: Im positiven Sinne „trocken” und frei von Nachhall, erlaubt sie ein herrlich natürliches, kristallklares Klangbild – das freilich auch jede noch so winzige Missstimmigkeit gnadenlos aufdeckt.
Bei den Singphonikern gibt es wenig aufzudecken, aber ganz ohne menschliche Schwächen geht es doch nicht ab. Die sind indes so klein, dass sie andernorts niemand hören würde und sie den zweistündigen Genuss in Rommersdorf auch unbeschadet lassen. Ohrenmerk und Hirn des Publikums werden ganz von einer Liederzusammenstellung eingenommen, die mit dem romantischen Komponisten Schubert aus dem frühen 19. und dem schwarzhumorigen Liedermacher Kreisler aus dem 20./21. Jahrhundert scheinbar Unvereinbares in erhellender, entzückender, oft Schmunzeln machender Weise vereint.
Zum Auftakt Schuberts „Sehnsucht” nach den Mignon-Versen von Goethe. Damit wird sogleich das Augenmerk geschärft für den Umstand, dass sich in den Liedern des Altvorderen manche Unbotmäßigkeit und Frivolität verstecken, die später der moderne Nachgeborene in seinem Werk mit spitzer Feder und Zunge satirisch besingt. „Ach! Der mich liebt und kennt, / Ist in der Weite / Es schwindelt mir, es brennt / mein Eingeweide” lassen Goethe und Schubert ihre Maid hitzig seufzen. Im Gegenzug Kreisler: „Spielt ein Neger auf der Flöte Palästrina (…) spricht die jüngste Ballerina: Es ist Frühlingszeit”.
In beider Lieder finden ebenso gesellschaftliche Umstände ihren Niederschlag. Kreisler schimpft in zynischem Choralton „Warum sind die Leute so träge / Und befreien sich nicht aus der Not?”. Bei Schubert hingegen sind es wegen der repressiven Lage unter den Bedingungen der Karlsbader Beschlüsse fast geheime Anspielungen oder eben totaler Rückzug ins privat Gefühlige. Mal vertont er Lappes Verse „In der Freie will ich leben, / In dem Sarge dumpft der Tod”. Dann ruft er mit Goethe den Freunden zu, für deren Geselligkeitsgesang er die Lieder überwiegend komponierte: „Denn es ziemt, des Tags Vollendung / Mit Genießern zu genießen.”
Als Zugabe ein Song, der auch an diesem Abend unvermeidlich ist: Kreislers galliger Evergreen „Wir gehen Taubenvergiften im Park”. Darüber hätte wohl auch Schubert genüsslich gefeixt.
Andreas Pecht