ape. Koblenz. Es vergoss der Autor beim Schreiben dieses Artikels ebenso viel Schweiß wie das Publikum am letzten Premierenabend des Theaters Koblenz für die Spielzeit 2014/15. Dazu war, wie schon in den Vorjahren, ein Apparat aus Schauspielern, Sängern, Tänzern, Orchestermusikern mitsamt Bühnentechnikern unter der Ägide des regieführenden Intendanten Markus Dietze aus dem Stammhaus umgezogen auf die Festung Ehrenbreitstein. Zum Ausklang des bis dahin heißesten Tags des Jahres boten sie Andrew Lloyd Webbers Musicalhit „Cats”. Im Unterschied zu vielen anderen Inszenierungen andernorts war Koblenz von den Rechteinhabern die Pflicht auferlegt worden, von sämtlichen Vorgaben der urheberischen Musterinszenierung abzuweichen. Operation gelungen, Patient in allerbester Neuverfassung: So resümierte in der Rhein-Zeitung sinngemäß Kollege Michael Defrancesco, passionierter Musicalfreund ein halbes Leben lang.
„Cats” darf als an Pulikumszuspruch reiches Populär-Finale einer Koblenzer Spielzeit gelten, für die auch in anderen Fächern auf den Hausbühnen am Deinhardtplatz manch bemerkenswerter Beitrag zu notieren ist. Zu meinen Favoriten als Schauspiel- und Ballettkritiker zählte bei den Hauptproduktionen in der Tanzsparte Steffen Fuchs‘ Adaption des Dürrenmatt-Klassikers „Besuch der alten Dame”. Im Sprechtheater bleiben – wie im Jahr zuvor Goethes „Faust I” und Kleists „Der zerbrochene Krug” – von der letzten Saison Schillers „Don Carlos” und Brechts „Heilige Johanna der Schlachthöfe” wegen ihrer spannend-innovativen Inszenierungsansätze und deren schauspielerisch teils hochkarätigen Umsetzungen in guter Erinnerung. Fürs Opernfach benennt Kritikerkollege Claus Ambrosius als seine Saison-Favoriten die musikalisch und szenisch herausragende „Tosca” sowie die sehr klug inszenierte und famos besetzte Saint-Saëns-Oper „Samson et Dalila”.
Nach Auskunft des Theaters waren die Publikumsrenner unter den Neuproduktionen der vergangenen Saison: das Musical „Oliver!” nach Charles Dickens „Oliver Twist”; das Opernmelodram „Tosca” von Puccini; Shaekespeares Komödie „Viel Lärm um nichts”; Schillers „Don Carlos”; und erstaunlicherweise die moderne „Emilia Galotti” von Marijn Simon, die erste und im Auftrag des Theaters Koblenz entstandene Opernadaption von Lessings gleichnamigem Schauspiel. Was die Besucherzahlen generell angeht, so setzte sich die erfreuliche Anstiegstendenz des Fünfjahres-Mittels fort, auch wenn heuer das Spitzenniveau der Überfliegersaison 2013/14 knapp verfehlt wurde.
Es gilt am Ende dieser Spielzeit, was am Ende jeder Spielzeit gilt: „Wir sehn betroffen: Den Vorhang zu und alle Fragen offen.” (Bert Brecht) Denn es ist nicht Aufgabe des Theaters, die großen Lebensfragen final zu beantworten. Vielmehr stellt es immer neue Fragen an jeden Einzelnen, an uns alle und unsere Lebensweise. Es streut Zweifel, nagt an scheinbar unverbrüchlichen Gewissheiten – und spricht Mut zu, die Sache der Menschen und des Menschlichen mit Herz und Hirn über den engen Horizont banaler Kosten-Nutzen-Rechnung und scheinbarer Alternativlosigkeit hinaus zu denken. Folglich richtet sich einmal mehr neugierige Erwartung auf das, was die kommende Spielzeit bringt.
Da wären zuerst Wiederaufnahmen teils zum Dauerbrenner gewordener Inszenierungen. Mozarts „Zauberflöte” erlebt in der Inszenierung von Cordula Däuper bereits ihr fünftes Jahr. Das Ballett bringt noch einmal seinen schönen, Uwe Scholz gewidmeten Abend „Tausend Grüsse” auf die Bühne. Mit David Mamets Schauspiel „Die Anarchistin” geht eine viel beachtete Koblenzer Kleinproduktion in ihr drittes Jahr. Auch „Faust I” wird 2015/16 die dritte Saison in Folge aufgeführt. Diesmal muss der bekannte Teil dem unbekannteren Rückdeckung geben, von dem nicht wenige Theatermacher glauben, es sei unspielbar: Goethes „Faust II”. Ich war dabei als vor fast 25 Jahren der damalige Frankfurter Ballettchef William Forsythe bei der dortigen Premiere des von seiner Compagnie und dem Schauspiel gemeinsam produzierten zweiten Teils der Welttragödie verzweifelt von der Bühne schrie: „Wir verstehen es nicht! Wir verstehen es einfach nicht mehr!” Koblenz wagt es mit Christian Schlüter am Regiepult dennoch.
Im Schauspiel folgt Georg Büchners „Leonce und Lena”, jenes Lustspiel, das zu seiner Zeit eine gefährliche Fürstensatire war, über den trägen Prinzen von Popo und die quirlige Prinzessin von Pipi. Später gibt es die hierzulande weitgehend unbekannte, 2007 uraufgeführte Tragikomödie „Eine Familie (August: Osage County)”, in der es ähnlich „familiär” zugeht wie ehedem auf der Bühne und im Kino bei der „Katze auf dem heißen Blechdach” oder jüngst ebenda bei „Das Fest”. Von da ist der Zeitsprung um mehr als 2000 Jahre in die Griechen-Antike zwar gewaltig, aber die in „Troerinnen/Orestie” aufgeworfenen Probleme sind so fern auch wieder nicht. Ähnliches gilt für „Volpone”, jene Komödie aus dem Jahr 1606, in der Gierhälse im Streit um das Erbe eines Gierhalses einander an den Hals gehen.
In der Tanzsparte entstehen mit „Die 28 Jahreszeiten” und „Mozart. Una Fantasia” zwei neue Choreografien von Steffen Fuchs. Die Opernsparte eröffnet am 19.9. mit Beethovens „Fidelio” die Spielzeit, reicht im Februar Donizettis erwärmenden „Liebestrank”. Nachher nimmt sie mit der Brecht/Weill-Oper „Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny” die Mechanismen des Kapitalismus ins Visier, und beschließt im Mai mit André Previns 1998 entstandenem Werk „A streetcar named Desire” die Haussaison. Klassik, klassische Moderne, Moderne: das hiesige Publikum ist reif für eine Programmmischung jenseits gefälliger Evergreen-Pflege. Dazu kommen Kindertheater und Puppentheater und anspruchsvolle Kleinproduktionen und…. In der Abteilung „leichte Muse”, sprich: Musical, ziehen im Winter die Kätzchen von der Festung zurück ins warme Theaterhaus und wechseln sich dort ab mit „My Fair Lady” – bevor im nächsten Sommer „Jesus Christ Superstar” auf dem Ehrenbreitstein gespielt wird. Kurzum: Wir freuen uns ganz doll auf die neue Spielzeit.
Andreas Pecht