Portrait Andreas Pecht

Andreas Pecht – Kulturjournalist i.R.

Analysen, Berichte, Essays, Kolumnen, Kommentare, Kritiken, Reportagen – zu Kultur, Politik und Geistesleben

Gemeinsamkeiten in der Syrien-Krise?

ape. Der folgende Befund mag seltsam, ja zynisch klingen: Das scheinbar unaufhaltsame Vordringen der fundamentalistischen Terrorbande IS (Islamischer Staat) im Irak, in Syrien und Kurdistan birgt die Chance, einem Ende des Syrienkrieges und damit auch einer Entspannung des aktuellen Flüchtlingsproblems näher zu kommen. Mehr noch, es könnte sogar hilfreich sein, die Ukraine-Krise zu entschärfen. Wie das?                              

In der internationalen Politik muss man bisweilen um die Ecke denken und tief sitzende Feindbilder nötigenfalls zähneknirschend beiseite legen, um zu gedeihlichen Entwicklungen zu kommen. Weshalb es gute Gepflogenheit vernünftiger Diplomatie ist, bei schwierigen Annäherungsprozessen zwischen Kontrahenten unlösbar erscheinende Interessenskonflikte fürs Erste auszuklammern und vorderhand nach Gemeinsamkeiten zu suchen. Neben Bundesaußenminister Walter Steinmeier lassen nun auch Unionspolitiker erkennen, dass sie eine Einbindung Moskaus in die Bemühungen um eine Lösung der Syrien-Frage für unabdingbar halten. Selbst Militärs und Geheimdienstler der USA und Russlands (soeben auch die Außenminister)  sprechen darüber bereits miteinander – während Washington offiziell noch wettert gegen die Einrichtung eines neuen russischen Truppenstützpunktes in Syrien sowie die Verlegung russischer Waffen und Soldaten dorthin.

Natürlich ließen sich diese Ansätze für eine Militärintervention in Syrien als bloß weiterer Zug Putin’scher Expansionspolitik geißeln. Tatsächlich liegen dem jetzt wuchtiger werdenden Engagement Moskaus dort Befürchtungen zugrunde, es könne bei fortschreitender Destabilisierung Syriens und des Assad-Regimes seinen einzigen Flottenhafen am Mittelmeer verlieren: Tartus an der syrischen Küste. Dies wäre ein weiterer Schritt zur – vom Westen seit 1989 forcierten – Marginalisierung der einstigen Weltmacht Russland. Einer Tendenz also, die zu beenden und umzukehren das vehement verfolgte Kernstück von Putins Außenpolitik ist – bis hin zur Annexion der Krim und dem tödlichen Verwirrspiel in der Ost-Ukraine.

Tartus und das Schicksal des langjährigen Verbündeten Assad sind aber nicht der einzige Grund für das wachsende Engagement Russlands in Syrien. Heute wird Moskau vor der UN die Bildung einer internationalen Koalition gegen den IS vorschlagen. Und man darf durchaus annehmen, dass das nicht nur ein Trick ist, um ein Vorgehen gegen alle von Russland so genannten „Terroristen” in Syrien zu legitimieren, egal ob IS oder innersyrische Opposition wider Assad. Diesen Versuch wird es wohl auch geben. Aber dahinter steckt ebenso ein gehöriges und womöglich schwerer wiegendes Interesse an der Niederringung des IS. Denn würde das nicht gelingen, wären Tartus und Assad sowieso verloren – müsste Russland obendrein eine Ausweitung des islamistischen Einflusses auch auf die gesamte ohnehin unruhige Kaukasusregion fürchten.

Kurzum, es gibt trotz aller schwerwiegenden Gegensätze zumindest ein gemeinsames Interesse des Westens und Moskaus: die Bekämpfung des IS. Zudem hat Steinmeier recht, wenn er die erfolgreichen Atombegrenzungs-Verhandlungen mit dem Iran als „hoffnungsvollen Korridor” für die Einbeziehung Moskaus in Bemühungen zur Lösung internationaler Konflikte  bezeichnet. Denn die dabei als gleichberechtigter Partner der USA und der Europäer agierenden Russen waren maßgeblich am positiven Ergebnis beteiligt. Begegnung auf gleicher Augenhöhe und Einbindung Russlands auf dem internationalen Parkett könnten, ob einem das gefällt oder nicht,  einer der wichtigen Schlüssel nicht nur auf dem Weg zur Lösung des Syrien- und des IS-Problems sein. Putin wird an der Person Assads nicht hängen, wenn er russische Interessen auch auf andere Weise wahren kann. Und Washington wird nicht alternativlos auf der sofortigen Entmachtung Assads beharren; erste Anzeichen dafür gibt es bereits.

Mit einem Ende des Syrienkrieges und einer internationalen Anti-IS-Koalition – nicht unter amerikanischer Monopolführung – wäre auch die aktuelle Flüchtlingskrise zwar nicht folgenlos überstanden, aber doch deutlich entschärft. Mehr noch: Selbst ein nur begrenztes Zusammenrücken des Westens und Russlands gegen den IS, damit verbunden auch die Wiederanerkennung Moskaus als politischem Global Player, könnte völlig neue Optionen für den Ukraine-Konflikt eröffnen. Dazu bedarf es weder dicker Freundschaft, noch wäre die Erwartung realistisch, die großen Mächte würden ihre Eigeninteressen aufgeben. Was es braucht ist politische Vernunft und ein bisschen guten Willen zur Deeskalation eines sich zuletzt wieder kräftig aufheizenden Kalten Krieges, von dem niemand etwas hat.

Das heißt aber auch: Gerade die USA und Russland sollen die Finger lassen von gefährlichen wie unnützen Provokationen. Russland vor allem in der Urkaine und die USA beispielsweise in Rheinland-Pfalz. Die Stationierung einer neuen Generation von Atombomben in Büchel wäre nicht nur ein Affront gegen Deutschland und die hiesige Bevölkerung, sondern international auch kontraproduktiv im Hinblick auf eine Entente zur Bekämpfung des IS.

Andreas Pecht

 

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