Portrait Andreas Pecht

Andreas Pecht – Kulturjournalist i.R.

Analysen, Berichte, Essays, Kolumnen, Kommentare, Kritiken, Reportagen – zu Kultur, Politik und Geistesleben

Unter Geisterjägern

ape. Dass scheinbar harmlose Spiele seit jeher Gefahren fürs leibliche Wohl bergen, lässt sich heute leicht an Statistiken über Freizeitunfälle oder an den Krankenständen der Bundesligaclubs ablesen. Schon bei unseren Ahnen galt landläufig: „Spiele sind eine todernste Sache” oder „Sport ist Mord”. Das mag überspitzt sein, gleichwohl beinhalten auch diese Sprichworte Körnerklumpen von Wahrheit. Bekannt geworden sind in jüngerer Zeit zudem Gefährdungen für Geist und Seele durch übermäßigen Genuss von Computerspielen. Dass jedoch jemand speziell dabei körperlich Schaden nimmt, war bis neulich selten. Den Bildschirm mit Fäusten traktieren, mit dem Kopf gegen die Wand rennen oder aus dem Fenster springen – das sind schließlich ganz normale Begleiterscheinungen der allgemeinen Dauerjagd auf unbotmäßige Computergeister.

Seit aber Smartphones eingeführt wurden, ändert sich die Lage grundstürzend. Den Computer trägt man nun permanent bei sich. Was viele Zeitgenossen verleitet, ihn auch permanent zu benutzen – egal wo sie liegen, sitzen, stehen, gehen, fahren. Da können brauchbare Effekte abfallen, fallen aber auch jede Menge Beschädigungen an. Blind zum Kaffee greifen, geht leicht auf Hose, Hemd oder Rock. Blind über Straßen oder durchs Parks gehen, geht leicht schmerzhaft daneben. Blind autofahren…, o weh. Blind Liebe machen wollen…, nun ja. Obendrein spielen sich früher inhäusig ausgetragene PC-Tragödien jetzt straßenöffentlich ab: Steht ein Mädchen zum Herzerweichen weinend, greinend, zeternd in der Fußgängerzone. Ich frage besorgt, was los sei. Geschluchzte Antwort: „Ich komme schon seit einer Viertelstunde nicht mehr ins Netz”. Ähm?

Als diese Zeilen entstehen, liegt der Ausbruch der PokemonGo-Seuche eine Woche zurück. Der Überträger ist das Smartphone, mithin die Ansteckung von Mensch zu Mensch gegeben. Über die Krankheit selbst will ich gar nicht schlecht reden – spannende Schnitzeljagden quer durch Stadt, Dorf oder Gelände konnten schon anno dunnemals bei den Mitmachern Züge schierer Besessenheit annehmen. An PokemonGo irritiert mich, dass binnen weniger Stunden gut die Hälfte von Deutschlands Jugend infiziert war und selbst ein beträchtlicher Teil der älteren Smartphone-Nutzer sich als nicht immun erwies. In der Psychologie nennt man ein derartiges Phänomen „Massenhysterie”, in der Wirtschaft einen „lukrativen Geniestreich”.

Zur Irritation hat sich rasch Besorgnis um die körperliche Unversehrtheit der PokemonGo-Jäger und -Jagdgesellschaften gesellt. Denn bei der traditionellen Schnitzeljagd kann erfolgreich nur sein, wer seine Umgebung sehr aufmerksam und genau betrachtet. Bei der jetzigen Jagd auf digitale Monster und Geister kommt zum Schuss oder Fang nur, wer den Bildschirm seines Smartphones nicht aus den Augen lässt. Das ist, mit Verlaub, für eine so mobile Gesellschaft wie die unsrige doch recht ungünstig: Man kann als konzentrierter Geisterjäger gar zu leicht selbst Geist werden. Wahrscheinlich haben die Entwickler des Spiels einfach nicht daran gedacht, dass die neuen Geister, die sie rufen, sich etwa mit den automobilen Monsterscharen nicht besonders gut vertragen. Weshalb nur wieder bleibt, an alle zu appellieren: Kinners, passt auf die wirkliche Welt auf und dort aufeinander!

Von Freund Walter diesmal kein Wort, er urlaubt irgendwo im Kalifat Erdogan. Das macht mir Sorgen, denn der Kerl kann ja das Maul nicht halten.

(Erstabdruck/-veröffentlichung außerhalb dieser website 29. Woche im Juli 2016)

 

Andreas Pecht

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