ape. Ein Schock ist das Ergebnis der US-Präsidentschaftswahl eigentlich nur für die Demoskopie: Sie lag in der Schlussphase reihum falsch. Eine böse Überraschung ist das Ergebnis für jene, die auf Basis der Demoskopie sowie teils betriebsblinder Lageeinschätzung auf einen sicheren, satten Clinton-Sieg bauten. Traurig und besorgniserregend ist der Wahlausgang für alle, die auf eine Niederlage Trumps GEHOFFT hatten, nun aber ihre schlimmsten Befürchtungen bestätigt finden. Was wird nun? In US-Amerika, im Rest der Welt?
Hier einige Gedanken am Morgen nach der Wahlnacht:
1.
Ja, Trump ist gefährlich – weil noch nicht klar ist, wieviel seiner irrwitzigen Wahlkampf-Demagogie faktischen Eingang in die präsidiale Politik finden wird. Von ersten Mäßigungen ist zu hören; was dran ist, wird man sehen.
2.
Wie wir bei Obama erleben konnten, sind die Spielräume eines US-Präsidenten begrenzt, wenn Senat, Repräsentatenhaus und andere Staatsinstitutionen nicht mitziehen. Bleibt also die Frage, wie sehr die staatstragenden US-Institutionen den Präsidenten Trump „einhegen“ wollen, können, müssen. Der republikanische Anti-Obama-Reflex fällt nun weg, wird womöglich ersetzt durch die tiefe Abneigung vieler Republikaner gegen Trump.
3.
Die Trump-Präsidentschaft sieht die USA vor der seltsamen und ungewohnten Situation, dass die Wallstreet und die US-(Welt)Konzerne mit den meisten ökonomischen und isolationistischen Ankündigungen des designierten Präsidenten nicht einverstanden sind. Auch hier bleibt die Frage nach der „Einhegung“ Trumps – in diesem eigentümlichen Fall eben durch die Macht und die Interessen des nach wie vor auf Globalisierungskurs segelnden Kapitals.
4.
Die mehrfache tiefe Spaltung der US-Gesellschaft ist signifikant. Und sie verläuft im Volk NICHT zwischen denen, die die Herrschaft des Establishments und „die Arroganz der Macht“ satt haben, und solchen, die einem „Weiter so“ anhängen würden. Das Gefühl, nur die Wahl zwischen „Pest und Cholera“ zu haben, ist auf allen Seiten sehr stark ausgeprägt. Trump ist es nach altbekannter Populistenmanier gelungen, den Unwillen vieler über die Herrschaftskaste aus Geld und Politik auf die Sündenbock-Mühle aus Rassenhass und Fremdenangst zu leiten und mit nationalchauvenistischer Träumerei aufzuladen.
5.
Nach ersten Wahlanalysen laufen die hauptsächlichen Spaltungslinien in der US-Bevölkerung zwischen a) weiß und nichtweiß, b) alt/älter und jung c) weniger oder mehr gebildet, d) christlich-konservativ und liberal weltoffen. Der durchschnittliche Trump-Wähler ist danach weiß, älter als 45, christkonservativ sozialisiert, höchstens mittelmäßig gebildet. Stadt-/Landverteilung, Geschlecht und Sozialstatus sind noch etwas unklar. Der Frauenanteil ist unter den Trumpwählern wohl kleiner; der Zuspruch aus der weißen Working-poor-Schicht womöglich geringer als auch in den hiesigen Medien gemeinhin angenommen.
6.
Die reale Kriegsgefahr, die von einer Trump-Präsidentschaft ausgeht, dürfte nicht größer sein als die bisherige – die freilich schon große genug ist. Denn das US-Volk ist in Gänze kriegsmüde. Säbelrasseln und Feindpropaganda könnten allerdings zunehmen: Wie Putin, Erdogan und andere braucht Trump Feindbilder, um von den inneren Widersprüchen abzulenken.
7.
Trump wird seinen Wählern bei fast gar keinem Thema liefern können, was er versprach. Was sich dann aus all den enttäuschten Hoffnungen für die US-Gesellschaft und US-Politik ergibt, ist im Augenblick völlig offen.
8.
Trumps Wahlsieg könnte die europäischen Rechtspopulisten beflügeln. Wenngleich weder der Front National in Frankreich noch etwa die AfD in Deutschland ihre Begeisterung über die Type Trump vorerst an die große Glocke hängen dürften. Denn zu vielen Westeuropäern, selbst rechtskonservativen, ist Trumps Gebaren gar zu suspekt. Könnte sein, dass die hiesigen Rechtspopulisten eher Mahnungen nach der Devise von sich geben: „So kann es kommen, wenn ihr auf uns nicht hört und baut.“
Nachtrag am 10.11.2016: Hier irrte ich wohl. Es bleibt beim ersten Satz als Gewissheit: Trumps Wahlsieg beflügelt die europäischen Rechtspopulisten. Marine Le Pen, Geert Wilders und die Frau von Storch bejubeln den US-Wahlausgang als Durchbruch in eine neue (ihre) weltweite Ära.
9.
Für die demokratische Politik in Europa ergeben sich m.E. aus dem US-Wahlergebnis zwei hauptsächliche Herausforderungen:
a) Europa muss sich darauf einrichten, eine von den USA unabhängigere Politik zu betreiben.
b) Die bürgerlich-demokratischen und die linken Parteien der alten Welt werden verstärkt Sorge tragen müssen, die sozialen Verwerfungen in ihren Ländern aufzuheben oder wenigstens spürbar zu mildern – nicht zuletzt, um der rechtspopulistischen Verführung das Wasser abzugraben.
10.
Was den öffentlichen Disput über rechtspopulistische Tendenzen in Westeuropa und Deutschland angeht: Wir sollten dem Rechtspopulismus nicht auf den Leim gehen und uns die nicht die Schlammschlacht als Form der politischen Auseinandersetzung aufzwingen lassen. Wir sollten die Reduzierung auf „postfaktisches“ Stimmungskrakeel verweigern und der Demagogie standhaft, entschieden, ausdauernd im Geiste der Aufklärung begegnen.
Andreas Pecht