ape/Bonn. „Kunst” von Yasmina Reza ist ein dankbares Stück für jeden Komödianten, der begriffen hat, dass seit Shakespeare und Moliere die wirklich guten Komödien nie einfach nur albern sind. Und der es auch versteht, auf des Messers Schneide zwischen Komik und menschlicher Tragik zu balancieren. Denn Rezas zeitgenössische Gesellschaftskomödien leben von der steten Gefahr des Absturzes ihrer überwiegend wohlsituierten Protagonisten in Richtung Zertrümmerung eigener Ideale und Selbstbilder.
Die Schauspieler, die jetzt in den Kammerspielen Godesberg drei über ein monochrom weißes Gemälde zerstrittene Freunde geben, halten die Balance zwischen Lächerlichkeit und bitterem Ernst fabelhaft. Dabei hilft Hajo Tuschy (Marc), Benjamin Berger (Serge) und Sören Wunderlich (Yvan) eine Inszenierung, in der Regisseur Jens Groß stringent dem Rhythmus des Stückes aus Eskalation und Deeskalation folgt. Dieser ist typisch für die landauf und -ab sehr erfolgreich gespielten Bühnenwerke der französischen Gegenwartsautorin.
„Kunst”, wie auch „Drei Mal Leben” oder das 2011 von Roman Polanski mit prominenter Besetzung verfilmte „Der Gott des Gemetzels” streben weniger auf einen finalen Showdown zu. Sie eskalieren stattdessen zwischendurch mehrfach zu einer Heftigkeit, aus der es keinen Ausweg mehr zu geben scheint – um gleich doch wieder die Luft rauszulassen, zu gesittetem Umgang und vorgetäuschtem oder tatsächlichem Bemühen um gegenseitiges Verständnis zurückzukehren.
Denn das ist auch in „Kunst” der Anspruch der drei „besten Freunde” an sich und ihre Freundschaft.
Doch im Disput darum, ob das weiße Gemälde nun „große moderne Kunst” (Serge) oder „große Scheiße für 200 000 Euro” (Marc) sei, kommt der ideelle Anspruch unter die Räder. Stattdessen brechen auf Emilia Schmuckers Einheitsbühne in modernem Loft-Design von einer Eskalation zur nächsten mehr und mehr latente Egoismen, Gegensätzlichkeiten, Intoleranzen, Neidkomplexe innerhalb des Trios offen aus. Marc wirft Serge Snobismus vor; Serge bezichtigt Marc der populistischen Kunstfeindlichkeit; der übersensible Yvan wird zwischen beiden zerrieben, weil er nur Frieden haben will, für keinen der beiden eindeutig Partei ergreift, sich aber doch wechselnd von beiden vereinnahmen lässt.
Dass es dem Zuseher in Bonn schier unmöglich ist, sich über längere Zeit auf die Seite von diesem oder jenem im Trio zu schlagen, spricht für die Qualität des dortigen Spiels. Das hält dem meist schmunzelnden, oft lauthals lachenden, bisweilen aber auch betroffen stillen Publikum einen feinen Spiegel vor. Darin können wir mannigfache eigene Züge erkennen, die das zivile Miteinander, ja selbst Freundschaften, gar Liebesbeziehungen gefährden: Rechthaberei und Besserwisserei etwa; die Neigung, über Art und Vorlieben der Mitmenschen sogleich ein Urteil zu fällen; eigene Ansichten und Lebensart als das einzig Wahre, Richtige, Verbindliche zuzulassen.
Kurz vor Ende der 95-minütigen Vorstellung sitzen Marc, Serge und Yvan erschöpft, wortlos, mit leerem Blick wie Fremde nebeneinander. Ihre Freundschaft liegt in Trümmern und das Selbstwertgefühl von jedem gleich mit. Das haben sie einander angetan. Doch zum guten Schluss – wir sind in der Komödie – hebt im großen Unglück leise glucksend bei allen Dreien ein sich steigerndes, befreiendes Lachen an: über die Idiotie der eigenen Kleingeistigkeit. Andreas Pecht