ape. Koblenz. Ein westerwälder Keramikkrug aus dem 17. Jahrhundert. Milchtopf, Wasserkrug, Weinbembel oder zu welchem Verwendungszweck auch immer er dereinst auf dem Küchenbord stand. Jedenfalls wurde er vor mehr als drei Jahrhunderten plötzlich zweckentfremdet – und kam gerade deshalb in Koblenz-Ehrenbreitstein, randvoll mit Münzen befüllt, überraschend erst auf die Nachwelt des 20. Jahrhunderts und jetzt in Forscher- und Bewahrerhände der Gegenwart.
Der Krug enthält 4640 überwiegend kurtrierische Münzen aus der Zeit ab 1599, die unter den Trierer Kurfürsten Lothar von Metternich, Carl Caspar von der Leyen und Johann Hugo von Orsbeck geschlagen wurden. Die jüngsten Geldstücke tragen das Prägedatum 1688 und sind noch wie neu, waren also nur ganz kurz in Umlauf. Und sie wurden in einer Koblenzer Münzanstalt hergestellt, wie entsprechende Einstanzungen verraten. Danach nichts mehr, kein einziger Groschen oder Taler aus späteren Jahren. Es ist, als sei der Krug nebst klingendem Inhalt anno 1688 schlagartig aus der Welt verschwunden.
Sowieso ist das nicht güldenes Vermögen eines Notablen oder reichen Kaufmanns, denn Geldstücke von höherer Zahlkraft und aus weiterer Ferne sind nur sehr wenige vertreten. Vielmehr steckt in dem Krug vor allem ein Haufen von Kleinmünzen. Bei 4000 handelt es sich um sogenannte „Petermännchen”, typisches Volksgeld jener Zeit im Rhein-Mosel-Gebiet und so genannt, weil die Münzanstalten des sich bis nach Koblenz erstreckenden kurfürstlichen Erzbistums Trier ihnen ein Bildnis des Apostels Petrus aufgepresst haben. Der Gesamtwert der Münzen beläuft sich auf rund zwei Jahreslöhne eines damaligen Maurers. Diese doch recht bescheidene Größenordnung spricht gegen die kurzzeitig diskutierte These, es handle sich womöglich um die Kriegskasse des Kurfürsten.
Gleichwohl ist der Generaldirektion Kulturelles Erbe (GDKE) Rheinland-Pfalz ein für den nördlichen Landesteil bedeutender Schatz zugefallen. Von „Fund” mag Chefarchäologe Axel von Berg nicht sprechen. Denn der Münzkrug stammt aus Familienbesitz. Er wurde jüngst von der GDKE für gut 50 000 Euro angekauft. Dessen eigentliche Entdeckung geht auf das Jahr 1947 zurück: Bei der Beseitigung von Kriegsschäden fand jemand auf dem Dachboden eines historischen Gebäudes im Koblenzer Stadtteils Ehrenbreitstein das dort eingemauerte Behältnis. Das landete anschließend erst bei einem Eisenwarenhändler, danach für Jahrzehnte bei besagter Familie – was nach Rechtslage vor 1970 ein völlig legaler und nicht zu beanstandender Vorgang war. Die GDKE ist durch Hinweise der Münzforscher von der Koblenzer Liebenstein-Gesellschaft auf das Artefakt aufmerksam geworden. Dank großzügiger finanzieller Unterstützung durch den Verein der Freunde und Förderer des Landesmuseums Koblenz sowie den Förderkreis Kulturzentrum Festung Ehrenbreitstein konnte der Münzschatz schließlich 2016 in Besitz des Landes Rheinland-Pfalz übergehen.
Aus der gemeinsamen Begutachtung durch Archäologen, Numismatiker (Münzforscher) und Historiker ergibt sich das folgende historische Narrativ: Es handelt sich bei den Münzen um den Kasseninhalt eines kurtrierischen Finanzbeamten mit Amtssitz in Ehrenbreitstein, bei dem örtliche Handwerker, Schiffer, Bauern in kleiner Münze ihre Steuern ablieferten. 1688 besetzten im Zuge des Pfälzischen Erbfolgekrieges Truppen des französischen Königs Ludwigs XIV. Koblenz sowie die kurfürstliche Residenz Ehrenbreitstein im Tal und begannen von dort aus mit der Beschießung der Festung Ehrenbreitstein auf der Höhe.
Es ist historisch bekannt, dass der französische Einmarsch damals sehr schnell erfolgte. Weshalb besagter Beamte sich wohl in aller Eile aus der Küche irgendeinen gerade greifbaren Keramikkrug schnappte, das für den Kurfürsten gedachte Steuergeld hineinschüttete und auf dem Dachboden vor den Franzosen verbarg. In welchem Ehrenbreitsteiner Haus genau sich das alles abgespielt hat, ist noch nicht vollends geklärt. Die Straße allerdings steht fest. Und fest steht auf Basis früherer archäologischer Funde wie stadthistorischer Erkenntnisse, dass in eben dieser Straße eine französische Geschützbatterie in Stellung gegangen war und die Festung beharkt hatte.
Die Vermutung liegt laut Axel von Berg nahe, dass besagter Finanzbeamte nach dem Verstecken der ihm anvertrauten Gelder entweder vom Rhein weg Richtung Westerwald flüchtete oder bei den nahen Gefechten umkam. Jedenfalls ward nie mehr etwas von ihm zu hören. Zurück blieb in seinem Versteck auf dem Dachboden der noch mit Patina von der einstigen Küchennutzung überzogene Münzkrug – und überdauerte unentdeckt die Zeiten bis 1947.
Münzen und Behältnis sind derzeit als Sonderausstellung „Der aktuelle Fund“ im Haus der Archäologie auf der Festung Ehrenbreitstein ausgestellt. Sie sollen später in die Dauerausstellung zur Geschichte der Festung eingegliedert werden. Noch wird parallel allerdings an dem „Fund“ geforscht. Das Labor der Mannheimer Reiss-Engelhorn-Museen etwa untersucht die metallurgische Zusammensetzung vor allem der Petermännchen, um zu bestätigen oder zu verwerfen, dass das Metallerz aus Abbaustätten in direkt benachbarten Seitentälern stammt und auch am Ort verhüttet wurde. So halten diese Münzen womöglich noch manche Erkenntnis bereit über das wirtschaftliche und soziale Leben im 17. Jahrhundert am Mittelrhein.
Andreas Pecht
(Erstabdruck/-veröffentlichung außerhalb dieser website 1. Woche im Januar 2017)