Portrait Andreas Pecht

Andreas Pecht – Kulturjournalist i.R.

Analysen, Berichte, Essays, Kolumnen, Kommentare, Kritiken, Reportagen – zu Kultur, Politik und Geistesleben

Glaube versetzt Berge

ape. In trauter Freundesrunde entbrannte neulich zu später Stunde ein, sagen wir: lebhafter Disput. Es ging um kugelige Pillchen und häufig geschüttelte Tröpfchen, um deren Wirksamkeit oder nicht. Kurzum: Die Homöopathie stand zur Kontroverse an. Keine einfaches Gespräch in einem Kreis recht gescheiter Leute, die in dieser Frage jedoch sehr verschiedene Blickwinkel einnehmen. Die eine Hälfte ist sicher, seit jeher am eigenen Leib gute Erfahrungen mit Globoli und Co. gemacht zu haben. Die andere Hälfte hält es mit der etablierten Wissenschaft, die eine objektive Wirkung der Mittel partout nicht nachweisen kann.

Was das infolge Weinseligkeit hoch motiviert geführte Palaver noch verkomplizierte: Beiden Fraktionen ist eine sonst begrüßenswerte Skepsis gegenüber allem und jedem gemeinsam. Was diesmal wenig half. Denn während die eine Seite Skepsis gegen schulwissenschaftliche Forschungsmethoden ins Gefecht führte, resultierte aus der Skepsis der anderen Seite ein Bombardement mit Granaten wie „Placeboeffekt”, „Einbildung”, „Autosuggestion”. Zwischen den Fronten saß in aller Gemütsruhe Freund Walter. Er müffelte ungerührt Oliven, Schafskäse, mit Knoblauchbutter bestrichene Fladen, süffelte ein Glas Roten aufs andere und widmete sich anbei hingebungsvoll seiner 15-Euro-Festtagszigarre.

Just als sich die Zimmerschlacht zum Stellungskrieg verfestigte, fuhr Walter überraschend dazwischen: „Mir ist es völlig egal, ob ein Medikament Wirkstoffe enthält oder nicht, wenn es denn wirkt. Auch ein Placeboeffekt ist ein Effekt, und wenn der heilsam ausfällt, soll’s mir recht sein. Mir als Patient ist gleichgültig wie das funktioniert, wenn es nur funktioniert.” Schweigen am Tisch, warten, bis sich der Freund nachgegossen hatte und mit der Glut der Tabaksrolle zufrieden war. Dann von ihm ein Schwall mit Erläuterungen zu uralten bis brandaktuellen Erkenntnissen über die Macht der Wundermaschine Gehirn sowie deren Einfluss auf den Leib und seine Befindlichkeiten. „Geist und Seele können uns krank machen, also können sie uns auch gesunden lassen.”

Schließlich das Resümee: „Für die meisten Zipperlein und Regelkrankheiten hat die Evolution in uns selbst Heilpotenziale angelegt. Die große Frage ist: Wie aktiviert man sie? Das wäre eine zentrale Herausforderung für konventionelle Doctores wie landläufige Medizinmänner/frauen. Wer auch immer auf welchem Weg auch immer mein Hirn dazu bewegt, den körpereigenen Reparaturapparat ans Laufen zu bringen, macht einen guten Job.” So sprach Walter, und ich darf hinzufügen: Wer bei ihm diesen Job machen muss, kann auf Gutgläubigkeit nicht bauen; denn der Freund glaubt stets erstmal an gar nichts, außer an das, was er sieht, hört, riecht, greifen kann, spürt.

Dabei geht er durchaus davon aus, dass es zwischen Himmel und Erde mehr gibt als wir bis dato wissen und messen können. Weshalb er im Einzellfall stets dem Prinzip folgt: „Quod esset demonstrandum, ich will Wirkungen erkennen und handfeste Resultate sehen. Der Glaube allein versetzt mir zu viele falsche Berge an die falschen Stellen.” Da ist dann höchste Medizinerkunst gefragt – oder ersatzweise ein gutes Medikament, das alsbald durchgreifend hilft. Walter ist in dieser Sache ganz pragmatisch: „Wenn die Heiler es nicht schaffen, rechtzeitig die körpereigene Apotheke aufzuschließen, müssen eben die Pharmazie und/oder Großmutters Hausmittel ran. Alles andere wäre Religion.”

 

(Erstabdruck/-veröffentlichung außerhalb dieser website 12./13. Woche im März 2017)

Andreas Pecht

Kulturjournalist i.R.

,

Archiv chronologisch

Archiv thematisch