ape. Jetzt geht dieser Leitkultur-Zirkus schon wieder los. Alle paar Jahre wird von gewissen Leuten das Ansinnen nach verbindlicher Festlegung einer „deutschen Leitkultur“ von Staats wegen in den Ring geworfen. Obwohl noch jedesmal festgestellt wurde: Das ist so überflüssig wie ein Kropf, weil das Grundgesetz und die daraus abgeleiteten Konkretisierungen des Zivil- und Strafrechts dem Zusammenleben in Deutschland einen völlig hinreichenden allgemeinverbindlichen Rahmen geben. Daraus folgt die zwingende Frage, welche Absicht verfolgen diese Leute mit ihren wiederkehrenden Leitkultur-Vorstößen tatsächlich?
Jedem, der die Gesellschaft in Deutschland mit wachen Sinnen betrachtet, dürfte klar sein: Schon seit Jahrzehnten existieren hier selbst innerhalb der „biodeutschen“ oder „stammdeutschen“ Gesellschaft nebeneinander viele unterschiedliche Milieus und Lebensarten, die kulturell nur noch sehr wenig bis gar nichts mehr miteinander zu tun haben. Die Herausbildung grundverschiedener Familienformen, Arbeitsweisen und Heimatgefühle seien als Beispiele genannt. Die normative Dominanz einer vermeintlich „richtigen“ bürgerlichen Lebensart hat sich seit den 1960ern überlebt, hat dem Nebeneinander unterschiedlicher Lebensarten Platz gemacht – deren gemeinsamer rechtlicher Rahmen eben das Grundgesetz ist.
Nicht zuletzt wegen dieser Diversifizierung der modernen Gesellschaft kann es m.E. gar keine verbindliche „deutsche Leitkultur“ jenseits des Grundgesetzes geben. Was wir derzeit wieder erleben, ist wohl eher der politische Versuch, die vielgestaltige Gesellschaft in den Bannkreis einer normativen Ideologie zu zwingen. Es geht gar nicht primär um „wir sind nicht Burka“, sondern um das reaktionäre Bemühen interessierter Kreise, die Deutungs- und Bestimmungshoheit zurückzugewinnen für das, was die einzig „richtige“ Lebensart in Deutschland sei.
Andreas Pecht