ape. Mainz. Noch bis 29. Oktober 2017 zeigt das Landesmuseum Mainz eine Sonderausstellung, die nicht nur für Rheinland-Pfälzer außerordentlich interessant ist, obwohl sie sich ausdrücklich auf das Gebiet dieses Bundeslandes konzentriert. Unter dem Titel „vorZEITEN – Archäologische Schätze an Rhein und Mosel” versammelt die opulente Schau herausragende Artefakte, die von Mitarbeitern der rheinland-pfälzischen Landesarchäologie in den vergangenen 70 Jahren zwischen Südpfalz und Oberwesterwald ergraben, entdeckt, gesichert, beforscht worden sind.
Die Eingrenzung des Fundzeitraums auf die Jahre 1947 bis 2017 ist angelehnt an das Bestehen von Rheinland-Pfalz. So wird die Ausstellung zugleich eine Art Dokumentation über die Arbeit der Landesarchäologie während dieser sieben Jahrzehnte. Die Institution mit Außenstellen in Trier, Koblenz, Mainz, Speyer – heute Teil der Generaldirektion Kulturelles Erbe (GDKE) – feiert gemeinsam mit dem Bundesland 70. Geburtstag. Die Idee, zu diesem Anlass Funde aus allen Landesteilen zusammenzuführen, ist naheliegend und wurde doch zuvor in dieser Form noch nie realisiert. So ergibt sich erstmals die Möglichkeit, an einem Ort zu betrachten, welche Schätze des kulturellen Erbes die Landesarchäologen entdeckt, vor Vergessen, Zerstörung oder Raub behütet haben.
Aktuelle Grabung der rheinland-pfälzischen Landesarchäologie nahe dem Eifelort Polch – in einem Gelände, auf dem ein Gewerbegebiet entstehen soll. Alle Fotos: GDKE/Landesarchäologie
Uralter Siedlungsraum an Rhein und Mosel
Was macht die Archäologie in Rheinland-Pfalz auch über die Landesgrenzen hinaus so interessant? Es ist vor allem der Umstand, dass diese Region im Zentrum Europas offenbar seit Urzeiten ein bevorzugtes Siedlungs- und Jagdgebiet nicht nur für den Homo sapiens war, sondern zuvor bereits für den Neandertaler und den Homo erectus. Ein hier gefundener Faustkeil bezeugt den Aufenthalt von Vertretern des Homo erectus im Rhein-Mosel-Land bereits vor 800 000 Jahren. Rund 170 000 Jahre alt ist eine in der Ost-Eifel entdeckte menschliche Schädelkalotte. In der Mainzer Ausstellung wird der nach anthropologischen Untersuchungen 30- bis 45-jährige Mann, von dem dieser Überrest stammt, augenzwinkernd als „ältester Rheinland-Pfälzer” vorgestellt. De facto war er einer der frühesten Neandertaler in Europa und ist der älteste Menschenfund auf rheinland-pfälzischem Gebiet – diesem auch während der vergangenen beiden Eiszeiten klimatisch „gemäßigten” Landstrich zwischen den nördlichen und den alpinen Eisschilden.
In späteren Epochen wurde das Gebiet wegen seiner Mittellage auf dem europäischen Kontinent und seinen prägenden Flußverbindungen von Süd nach Nord und Ost nach West zum Durchzugs- und/oder Einwanderungsraum unzähliger Menschengruppen und Völkerschaften. Frühe und späte Steinzeitmenschen, Bandkeramiker und Bronzezeitler, Kelten, Germanen, Wikinger, Römer, Franken, Salier ….: Sie alle und dazu Soldaten, Händler, Reisende aus aller Welt haben hier durchgängig über Jahrzehntausende hinweg ihre Spuren und Einflüsse in einer Fülle hinterlassen, wie kaum anderswo nördlich der Alpen.
Weshalb sich unschwer vorstellen lässt, dass in den historischen Abteilungen der rheinland-pfälzischen Museen sowie in den Depots der Archäologen gewaltige Mengen an Fundstücken gebunkert sind. Die Befürchtung war folglich, dass eine Überblicksausstellung, die Funde aus dem ganzen Land umfasst, in schierer Exponatmasse ertrinkt. Gute Nachricht von der Großausstellung „vorZEITEN” im Landesmuseum Mainz: Mit 400 sorgsam ausgewählten Artefakten vermittelt die Schau einen knappen, aber exzellente Blick über 400 Millionen Jahre Erd- und etliche zehntausend Jahre Menschengeschichte auf dem Gebiet des heutigen Rheinland-Pfalz. Zehntausende Fundstellen sind bei der Landesarchäologie registriert. Foglich war Auswahl der Exponate eine der schwierigsten Aufgaben. Die sich übers gesamte Erdgeschoss des Landesmuseums ausbreitende Schau ist angelegt als Reise durch einen Zeittunnel, die an markanten Stellen der Geschichte halt macht. Dort sind Kabinette eingerichtet mit Fundstücken, die exemplarisch für die jeweilige Epoche stehen. Überwiegend handelt es sich um Artefakte von jeweils nur einer Fundstelle, woraus sich ein schöner Überblick über archäologisch besonders bedeutsame Plätze im Land ergibt.
Auch Naturerbe aus grauer Vorzeit gesichert
Die erste Station der in 15 Abteilungen untergliederten Ausstellung reicht zurück ins Erdzeitalter des Devon. Der Raum ist mit 400 Millionen Jahren alten Fossilien bestückt. Das sind vor allem in Schiefer eingeschlossene Bewohner des einstigen Urozeans, dessen versteinerte, zu mehreren tausend Metern Dicke abgelagerten Sedimente einen Großteil der rheinland-pfälzischen Mittelgebirge ausmachen. Gliederfüßler, Fische, Seesterne in wunderbar klarer Prägung sind zu sehen – in jüngerer Zeit ans Tageslicht befördert durch den industriellen Abbau von Dachschiefer bei Budenbach im Hunsrück. Mit dieser Sektion wird auch gleich zu Anfang der Ausstellung deutlich, dass den Archäologen nicht nur Entdeckung, Bewahrung, Erforschung und Vermittlung von zivilisatorischen Relikten aufgegeben ist, sondern sich diese Aufgaben ebenso auf das Naturerbe erstrecken.
Die Zeitreise macht dann einen Sprung über 375 Millionen Jahre und in den Westerwald zu versteinerten Fischen, Insekten, Reptilien, Vögeln, Säugetieren – und dem ältesten je entdeckten gleitflugfähigen Nagetier. Sie alle waren heimisch in oder an einem Maarsee in Enspel bei Bad Marienberg. Unter mehreren Metern mächtigem Basalt verborgen, kamen diese Relikte aus dem Tertiär ebenfalls infolge industriellen Abbaus der Gesteinsschichten zum Vorschein. Sie bezeugen für die mittelrheinische Region ein trockenes, warmes Klima wie heute am Mittelmeer.
Die folgenden drei Abteilungen der Ausstellung führen dann in die Steinzeit und damit ins Zeitalter des Menschen. Von dem fast eine Million Jahre alten Faustkeil, mit dem dereinst ein Vertreter des Homo erectus hier hantierte, war schon die Rede. Ebenfalls von der 170 000 Jahre alten Schädelskalotte des „ältesten Rheinland-Pfälzers“, deren Teile GDKE-Chefarchäologie Axel von Berg in einer Kratermulde der Wannenvulkane bei Ochtendung in der Eifel (Kreis Mayen-Koblenz) fand und zusammensetzte. Dieser Neandertaler konnte sich mit seiner Sippe während der vorletzten Kaltzeit am Mittelrhein überhaupt nur ansiedeln, weil ihre kleinen Zelte im Vulkankrater Schutz vor den eiszeitlichen Winden fanden und das vulkanische Untergrundgestein dort Sonnenwärme speicherte. Ansonsten nämlich war das Land ringsumher eine kaum bewohnbare frostige Tundra-Landschaft. Zum Neandertaler-Schädel gesellen sich weitere Funde aus dem Krater: Steinerne Werkzeuge etwa, und Knochen von Beutetieren wie Rentier, Pferd oder riesigen, befellten Nashörnern. Die zogen durch die rheinischen Ebene unterhalb der Vulkankrater, wurden von oben erspäht, dann manches von frühmenschlichen Jagdtrupps erlegt, am Ort zugleich zerlegt – und anschließend stückweise hinauf geschafft ins geschützte Lager.
Steinzeitliche Kulturmenschen bei Neuwied
Vor rund 30 000 Jahren waren die Neandertaler von der Bildfläche verschwunden und der Homo sapiens, also unser direkter Vorfahr, die weltweit dominante Menschenspezies geworden. Um dessen Lebensart am Ende der letzten Kaltzeit zu veranschaulichen, konzentriert sich die Mainzer Schau erneut auf einen Hotspot der Steinzeitarchäologie in Rheinland-Pfalz: das Neuwieder Becken und archäologische Funde von dortigen Grabungen bei Andernach und Neuwied-Gönnersdorf. Glanzstücke von dort sind: eine Schieferplatte mit vier eingravierten Frauenfiguren, eine davon trägt eine Säuglingskiepe auf dem Rücken, sowie zwei nur wenige Zentimeter große, aus Mammutelfenbein geschnitzte Frauenkörper.
Anfang der 1970er tauchte infolge mehrerer Grabungskampagnen am Ort und ihrer reichhaltigen Resultate in der Fachliteratur der Begriff „Frauenfiguren vom Typ Gönnersdorf“ auf. Er wurde zum international gebräuchlichen Terminus für Frauendarstellungen eines ganz bestimmten Stils: Der weibliche Körper wird überwiegend im Profil ohne Kopf und Füße gezeigt; aus dem langen und oft stabförmigen Corpus ragt ein überproportional mächtiges Gesäß in Halbrund- respektive Dreiecksform heraus; die Brüste sind oft nur angedeutet. In ihrer Schematisierung und formalen Reduktion wirken die steinzeitlichen Ritzzeichnungen, mehr noch die kleinen Schnitzstatuetten wie stilisierte Symbole des Weiblichen – und erinnern fast an moderne Kunst.
Diese Artefakte entdeckte man in großer Zahl zwischen den Überresten alter Jagdlager, die vor etwa 15 500 Jahren wiederholt von mehreren Menschengruppen aus einem Umkreis von 300 Kilometern gemeinsam genutzt wurden. Besonders interessant ist, dass die europäische Archäologie gleichartige Frauendarstellungen an Fundplätzen von Südfrankreich bis in die Ukraine zutage förderte. Allesamt sind sie innerthalb weniger Jahrhunderte, also fast zeitgleich, entstanden, lassen sich einer jungpaläolithischen Spätepoche mit dem schönen Namen Magdalénien zuordnen. Was für einen nahezu kontinentweiten Kulturaustausch zwischen den regionalen Gruppen spricht.
8500 Jahre jünger ist der noch immer rätselhafte Schreckensfund im pfälzischen Herxheim, den die nachfolgende Ausstellungsstation thematisiert. Massengräber aus der Spätphase der Bandkeramikkultur mit den Überresten von etwa 500 zerstückelten Menschen. Gesicherte Deutungen dieses spektakulären Fundes gibt es wenige. Klar ist nur, dass es sich um einen Ritualort handelt, an dem vor 7000 Jahren Menschen aus der weiten Umgebung zusammenkamen. Um Menschenopfer darzubringen? Um kannibalistische Zeremonien zu feiern? Um Gefangene hinzurichten? Man weiß es (noch) nicht. Die schier kriminalistische Feinarbeit der Archäologen dauert an und das Kabinett zum „Fall Herxheim” gewährt dem Besucher spannende Einblicke in die Methodik des archäologischen Schaffens.
Das römischste aller deutschen Bundesländer
Weiter geht die Zeitreise. Bronzezeitliche Hortfunde aus Schifferstadt, Ochtendung oder vom Rand des Pfälzerwaldes belegen mannigfache Fernhandelsbeziehungen schon vor fast 4000 Jahren, die bis nach Persien reichten. Beigaben aus Prunkgräbern bei Worms und Trier bezeugen für die nachfolgende Eisenzeit ab etwa 500 vor Chr. den hohen Stand der hiesigen Keltenkultur sowie deren intensiven Austausch etwa mit dem Mittelmeerraum. Auf die Kelten folgen ab dem 1. Jahrhundert vor Chr. und bis ins 4./5. Jahrhundert unserer Zeit die Römer als dominanter Faktor im Rhein-Mosel-Land. „Rheinland-Pfalz ist das römischste aller deutschen Bundesländer” pflegt GDKE-Generaldirektor Thomas Metz zu sagen.
Die Mainzer „VorZEITEN”-Schau fächert das römische Zeitalter exemplarisch anhand von drei Schwerpunkten auf. Erstens mit einem Kabinett zur zeitweise größten Garnisonsstadt des Imperium Romanum nördlich der Alpen: das ums Jahr 13 vor Chr. als Legionslager entstandene Mogontiacum, also Mainz. Zweitens befasst sich ein eigener Raum mit Augusta Treverorum, der anno 17 vor Chr. von den Römern gegründeten Stadt Trier. Schwerpunkt sind da Exponate der spätantiken Phase, die vor allem einen Eindruck vermitteln von der luxuriös urbanen Lebensart der Oberschicht in der „Rom des Nordens” genannten Kaiserresidenz. Das letzte Antikenkabinett ist drei besonderen Funden außerhalb der Metropolen gewidmet, die allesamt von unruhigen und schließlich das Ende des Imperiums einläutenden Verhältnissen zeugen: eine solitäre Reiterstandarte in Drachenkopf-Form als Relikt der gewaltsamen Zerstörung des Limeskastells Niederbieber bei Neuwied; die Soldkasse einer römischen Truppeneinheit aus dem 4. Jahrhundert, gefüllt mit 22 000 prägefrischen Münzen, die nahe einer Römerbefestigung im Kreis Cochem-Zell aus bislang unerfindlichen Gründen einfach liegengelassen worden waren; schließlich der sensationelle „Barbarenschatz von Rülzheim”, datierend auf die Zeit um 450, und 2013 einem pfälzischen Raubgräber entwunden.
Erhellendes über Arbeit der Archäologen
Station um Station schreitet die Ausstellung mit faszinierenden Zeitzeugnissen von der Spätantike voran durchs Mittelalter in die Neuzeit bis hin zur jüngeren Vergangenheit. Dabei gibt es immer wieder neue Einblicke in die Arbeit der Archäologen, die bald auch zwei vor allem bei Laien weithin unbekannte Faktoren erhellen. Da wäre zum einen der Umstand, dass sie sich für den „Befund” mindesten ebenso interessieren wie für die Fundstücke selbst. Denn wo ein Artfakt wie in welchem Zustand und unter welchen Umständen in der Erde liegt, ist für die daraus zu gewinnenden historischen Erkenntnisse bisweilen wertvoller als das Artefakt selbst, und sei es aus purem Gold. Weshalb die dilettantische (und überdies verbotene) wilde Raubgräberei eines der großen Probleme für die Archäologie darstellt.
Zum anderen sind die Landesarchäologen keine Jäger verlorener Schätze, sondern vielmehr Bewahrer von Schätzen, die verloren gehen könnten – beim Straßen-, Haus-, Gewerbebau, bei Flurbereinigungen oder der Errichtung von Windkraftparks …. Dann immer sind sie unterwegs, um zu sichern, was zu sichern ist. Mehr noch: Diese Archäologen sind gar nicht besonders versessen auf Grabungen. Sie sind im Gegenteil vor allem dann besonders froh, wenn sie durch Augenschein, Recherche, kleine Erkundungsstichproben und indirekte Messmethoden eine Lagerstätte lokalisieren, kartographieren und im Ansatz ergründen können – um sie dann aber doch unberührt in der Erde zu lassen. Denn dort sind sie für nachfolgende Generationen optimal deponiert.
Andreas Pecht
Weitere Informationen zur Mainzer Ausstellung unter
www.vorzeiten-ausstellung.de
Erstabdruck/-veröffentlichung außerhalb dieser website Juli/August 2017