ape. Es wird dieser Tage eifrig disputiert über „Heimat“. Bei der Einheitsfeier neulich in Mainz meinte der Bundespräsident, man dürfe die Sehnsucht nach Heimat nicht den Nationalisten und Rechten überlassen. Da bin ich mal ganz seiner Meinung. Vor allem deshalb, weil bei diesem Thema ständig zwei Dinge vermischt werden, die mein Kopf gar nicht zusammenkriegt: Heimat und „deutsche Nation“. Während Ersteres meist eine handfeste Sache ist und örtlich, landschaftlich, folkloristisch, teils sogar nach Ess- und Trinktraditionen recht klar umreißbar, verliert sich Letzteres in mythologischen Nebelgespinsten.
Derzeit gibt es dazu jede Menge Umfragen, mit oft irritierend unterschiedlichen Ergebnissen. Die auf Ja / Nein / Weißnicht eingeengte Frage „Betrachten sie Deutschland als ihre Heimat?“ beantwortet eine fette Mehrheit mit „Ja“. Auf die offene und mit etlichen Antwortmöglichkeiten verknüpfte Frage „Was betrachten Sie als Ihre Heimat?“ antwortet eine noch fettere Mehrheit NICHT mit „Deutschland“. Da reicht vielmehr das Spektrum der persönlichen Heimatdefinitionen von Geburtsort und Kindheitsregion über eigenen Wohnsitz oder „wo meine Familie lebt“ bis zu „überall, wo ich mich wohlfühle“. Noch vor Deutschland fallen sogar Nennungen wie „Gebirge“ oder „Meer“ oder „Wald“ oder „Literatur“.
Ein Bayer, der da „Deutschland“ antwortet, käme mir seltsam vor. Steht doch seine angestammte Heimatkultur derjenigen Österreichs, der Schweiz, der Slowakei und Tschechiens wesentlich näher als derjenigen von Rheinländern, Brandenburgern oder Friesen. Würden die Stämme der „deutschen Lande“ ihre Heimatmundarten sprechen, bräuchte der Bayer auch in Hunsrück oder Westerwald, erst recht in Köln, Bochum oder auf Helgoland einen Dolmetscher. So ähnlich äußerte ich mich unlängst in einer etwas eigentümlichen Runde. Worauf einer meinte: „Aber sie können alle stolz darauf sein, dass sie Deutsche sind.“
Sorry, aber mit solchem Stolz kann ich rein gar nix anfangen. Weil: Es ist der pure Zufall, dass eine aus Ostpreußen geflüchtete Näherin und ein badischer Schreiner sich dereinst im Odenwald ineinander vergafften, mich zeugten und in Heidelberg das Licht der Welt erblicken ließen. Ich hätte ebenso gut das Produkt anderer Lüsteleien in anderen Weltgegenden sein können, wäre heute womöglich Ami, Chines‘, Russ‘, Zimbabwer, Inuit, Ungar oder gar Bayer. Der liebe Gott würfelt. Was gibt es da stolz zu sein? Kaum hatte ich so gesprochen, griff besagter Herr in besagter Runde empört zur wilhelminischen Litanei wider den „vaterlandslosen Gesellen“, der ich sei.
„Ei gewiss“, gab ich munter zurück, „ich bin – und das mit einiger Freude – ein vaterlandsloser, aber durchaus kein heimatloser Geselle. In der badischen Kurpfalz aufgewachsen als Neckarkind und Odenwälder; im Rheinland erwachsen und alt geworden als Mittelrheiner und Westerwälder; in der Tradition von Siebenpfeiffer, Hecker, Heine, auch von Marx und Raiffeisen stehend; überzeugter Europäer und Weltbürger seit Jugendtagen.
Ja, ja, Deutscher bin ich auch: Bürger der Bundesrepublik Deutschland. Steht so im Ausweis, ist so bei Amte urkundlich dokumentiert. Indes: In meinem wie in unser aller Blut findet die Wissenschaft zwar reichlich Afrika- und Neandertaler-Erbe, aber kein einziges Deutsch-Gen. Der ganze gekünstelte Nationalkram bedeutet mir herzlich wenig; selbstgewählte Heimat hingegen viel; Menschlichkeit, Freiheit, Gerechtigkeit alles.
– Freund Walter nickt.
Erstabdruck/-veröffentlichung außerhalb dieser website 43./44. Woche im Oktober 2017