29.10.2017
Sie ist eine der berühmtesten Mainzerinnen, gehörte in weiten Kreisen freilich nie zu den beliebtesten: die Kommunistin und Schriftstellerin Anna Seghers (1900–1983). Vor 75 Jahren erschien ihr großer Roman „Das siebte Kreuz“. Dieser Tage sind dem Text wie seiner Autorin in Mainz und Frankfurt eine Fülle von Veranstaltungen gewidmet. An zentraler Stelle steht dabei die zweite je in Deutschland produzierte Adaption des Werkes für die Bühne; die erste war 1981 in Schwerin zu sehen. An diesem Wochenende gab Anselm Weber damit seinen Regieeinstand als neuer Intendant des Schauspiels Frankfurt.
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28.10.2017
Nachtrag zu meinen #meToo-Anmerkungen vom 26.10.
wer jenen Text noch nicht kennt, kann ihn hier nachlesen:
Es wird jetzt der Ruf laut nach neuen gesetzlichen Regelungen wider sexistische Übergriffigkeit. Man kann das überlegen, vielleicht wäre es im einen oder anderen Bereich sinnvoll bzw. hilfreich. Nach meinem Dafürhalten ist das derzeit hierzulande aber nicht der entscheidende Punkt.
Man mag sich das der Einfachheit halber wünschen, aber es lassen sich über Jahrhunderte des Patriarchats gewachsene Unkultur-Praktiken nunmal kaum mit ein paar formalen Federstrichen aus der Welt schaffen. Dazu bedarf es vielmehr einer Art Kulturrevolution der Geschlechterbeziehung, eines gesellschaftlichen Prozesses hin zur allgemeinen Ächtung sexistischer Übergriffigkeit in Wort und Tat. (Dass männliche Macht-, Dominanz- und Privilegstrukturen in Wirtschaft, Politik und öffentlichem Leben aufgebrochen und zerbrochen werden müssen, habe ich nicht eigens thematisiert, weil: Den Kampf darum betrachte ich als Selbstverständlichkeit.)
Und dies noch, das auch ich über die Jahrzehnte erst lernen musste und alle Tage wieder bedenken muss: Jede Frau hat das Recht, ihre ganz eigenen individuellen Grenzen zu ziehen. Die können obendrein in jedem Einzelfall gegenüber verschiedenen Männern auch noch völlig unterschiedlich verlaufen. Im einen Fall erlauben Vertrautheit, Vertrauen, Freundschaft, Nähe, wechselseitige Zuneigung Umarmungen, Küsschen, geziemendes Anfassen oder sogar mal verspielt frivole Bemerkungen. Im anderen Fall verletzt dies, das oder jenes einige bzw. alle Grenzlinien.
Gewiss, es ist nicht immer einfach, herauszufinden, was, wann bei wem gilt. Aber: Selbst chauvenistische Dickhäuter könnten – wenn sie mannhaft genug wären, es zu wollen – Distanzverhalten, abwehrende Blicke und Gesten, missbilligende Bemerkungen als das verstehen, was sie sind: ein NEIN. Und nein heißt nein – ist das genaue Gegenteil von Ja.
26.10.2017
So, Feierabend. Kleiner Schnitt zum Wochenende – für ein paar Tage raus aus der Arbeit am Buch über 210 Jahre Geschichte des Koblenzer Musik-Instituts und rein in aktuelle Kritikerpflichten: Am Freitag im Schauspiel Frankfurt Regieeinstand des neuen Intendanten Anselm Weber mit einer Bühnenadaption von Anna Seghers „Das siebte Kreuz“; am Samstag Premiere „Soul Chain“, neue Produktion der Tanzsparte am Mainzer Staatstheater.
Für die Bucharbeit grabe ich mich seit einigen Tagen durch das Teilthema „Koblenzer Kulturleben 1933 bis 1945“. Einmal mehr wird mir dabei deutlich: Gleichschaltung und Unterwerfung (nicht nur) des Kulturlebens vollzogen sich für damalige Zeitgenossen vielfach weniger im schlagzeilenträchtigen Großen, sonder als schleichende Prozesse im Kleinen. Da wirkt ein Mix aus auf den den ersten Blick oft wenig spektakulären Verwaltungsakten, diversen Personalrochaden sowie peu a peu fortschreitender, anfangs fast unscheinbarer ideologischer Beeinflussung der öffentlichen Stimmung und Meinung. Bis schließlich die Nazis plötzlich sämtliche Kulturapparate beherrschen und organisatorisch wie inhaltlich die NSDAP-Kommandowirtschaft das Regiment übernommen hat.
25.10.2017
Diese aktuelle #metoo-Bewegung finde ich gut – auch wenn ich über die Jahrzehnte sehr viele Frauen getroffen habe, bei denen Mannsversuche verbaler oder gar händischer Übergriffigkeit keinesfalls ungestraft blieben. Aber es kann ja selbst im Falle solch starker Frauen nicht sein, dass sie in permanenter Bereitschaft leben müssen, sich zu wehren oder zurückzuschlagen. Da chauvenistische Übergriffigkeit, wie #metoo zeigt, leider und unerträglicherweise offenkundig anhaltend ein Massenphänomen ist, bleibt wohl gerade auf Männerseite noch einiges zu tun.
Weitere Anmerkungen zu diesem Thema
23.10.2017
„Das Orchester hier hat mit einer Wollust geübt und gespielt und mich gelobt, wie es mir noch nie passiert ist.“ Derart freute sich Johannes Brahms über die triumphale Uraufführung seiner 2. Sinfonie anno 1877. Ähnliche Anwandlungen durchzucken den Zuhörer jetzt mehrfach während der Realisation desselben Werkes durch die Rheinische Philharmonie beim Koblenzer Musik-Institut. Wie damals im Wiener Musikverein das Publikum gespannt war auf die neueste Komposition von Brahms, so jetzt das Auditorium in der Rhein-Mosel-Halle auf die Leistung des hiesigen Staatsorchesters beim zweiten Anrechtskonzert unter Stabführung seines neuen Chefdirigenten Garry Walker.
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Sämtlichen Gratuliererinnen und Gratulanten meinen allerherzigliebsten Dank – für die guten Wünsche sowie den Zuspruch, auch fürderhin die mal ernsthaft, mal schalkhaft spitzige Feder nicht stillestehen zu lassen. Ich bin ob der Alterung mit ihrem steten Zugewinn an Erfahrung und Erkenntnis nicht gram. Allenfalls etwas irritiert über den Umstand, dass ich nun ein Jahr älter bin als der Großvater geworden ist – den mein Kindheitsgedächtnis nur als ururalten Greis zeigt.
19.10.2017
Eigentlich ist es noch viel zu früh für meine Monatskolumne „Quergedanken“. Aber die aktuelle Folge ist „Vaterlandslose Gesellen“ betitelt und handelt vom Thema „Heimat“. Weil das eben jetzt in allen Medien rauf und runter diskutiert wird, droht mir das Thema – wie es in der Journalistenzunft heißt – „wegzulaufen“. Häufig ist es aus organisatorischen Gründen unvermeidlich, die „Quergedanken“ schon zwei bis vier Wochen vor Abdruck im mittelrheinischen Monatsmagazin „Kulturinfo“ zu schreiben. Die jetzige Nr. 153 entstand bereits in der ersten Oktoberwoche. Damit es nachher nicht heißt, der Autor bete bloß den medialen Mainstream nach, habe ich mich für die vorgezogene Publikation im Netz entschieden.
„Quergedanken“ 153: Vaterlandslose Gesellen
13.10.2017
Es kommt seltener vor als gemeinhin angenommen, dass mehrere (professionelle) Kritiker eine Bühnenproduktion völlig gegensätzlich bewerten. Viel öfter neigen sie – freilich mit verschiedenen Abstufungen, Blickwinkeln, Gewichtungen – in gemeinsamer Grundtendenz zur einen oder anderen Urteilsrichtung. Hinsichtlich der jüngsten Produktion des Hessischen Staatsballetts, „Eine Winterreise“ ist nun allerdings der Extremfall eingetreten: Volker Milch (Rhein-Main-Presse) schreibt vom Besten, das die Wiesbadener Tanzsparte seit Jahrzehnten geboten hätte. Ich hingegen komme, wie auch Sylvia Staude (Frankfurter Rundschau), zu dem Ergebnis, dass dies eine der schwächsten Choreographien von Tim Plegge ist.
Meine Besprechung des „Winterreise“balletts“ hier
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09.10.2017
Einer der größten Klassiker auf kleines Format reduziert: Regisseur K. D. Schmidt lässt „Hamlet“ stramm in nur zwei Stunden auf einem kaum zwei Meter tiefen Bühnenstreifen vor dem eisernen Vorhang spielen. Das ist der sehenswerte Beitrag des Staatstheaters Mainz zum ringsumher opulenten Shakespeare-Reigen in der Theatersaison 2017/18.
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08.10.2017
Ein schönes Zitat:
„Wer dem Hass mit Hass begegnet, hat sich schon verformen lassen, hat sich schon jenem angenähert, von dem die Hassenden wollen, dass man es sei. Dem Hass begegnen lässt sich nur durch das, was dem Hassenden abgeht: genaues Beobachten, nicht nachlassendes Differenzieren und Selbstzweifel.“
Carolin Emcke (gefunden gestern im Programmheft zu „Hamlet“ am Staatstheater Mainz)
06.10.2017
Diesjähriger Träger des Literaturnobelpreises ist also Kazuo Ishiguro. Die üblichen Irritationen und die Einsprüche gegen den Entscheid halten sich diesmal in Grenzen, denn der japanische Brite ist kein Unbekannter. Er steht seit drei Jahrzehnten hierzulande und in vielen anderen Ländern immer wieder auf den Bestenlisten, gelegentlich sogar Bestsellerlisten. Selbst wem der Name nicht geläufig ist, hat womöglich die ziemlich bekannten Romanverfilmungen „Was vom Tage übrig bleibt“ und „Alles, was wir geben mussten“ gesehen. Das Stockholmer Komitee hat eine gute Wahl getroffen.
Mein Kommentar zum Literaturnobelpreis 2017 hier
05.10.2017
Wenn der verehrten Leserschaft der nachfolgende Text vor Augen kommt, wird Garry Walker sein Einstandskonzert am Mittelrhein bereits dirigiert haben. Der Terminplan wies es für den 22. September als erstes Anrechtskonzert 2017/18 beim Musik-Instituts Koblenz aus. Für diesen Artikel jedoch trafen wir uns zum Gespräch schon am 3. September, dem diesjährigen Tag der offenen Tür im Görreshaus, der Koblenzer Heimstatt der Rheinische Philharmonie. Es galt, einer Persönlichkeit näher zu kommen, die in den nächsten Jahren diesen Klangkörper als Chefdirigent künstlerisch prägen wird.
Das ganze Gesprächfeature hier
freier Lesetext, 12 600 Anschläge, 8 – 10 Minuten Lesezeit
02.10.2017
Es ist für den Außenstehenden nicht ganz einfach zu begreifen, was so viele Katalanen ein so starkes Bedürfnis nach Unabhängigkeit empfinden lässt. Wie bei anderen regionalen Bestrebungen zur Loslösung von bisherigen Nationalstaaten muss man wohl auch in diesem Fall tief in die Regional-/Volksgeschichte eintauchen, um verstehen zu können, woher das kommt. Beim Nachlesen über Katalonien stieß ich zuerst darauf: Diese Region stand im spanischen Bürgerkrieg an der Seite der Republik gegen Franco, wurde heftig bombardiert und blutig niedergeworfen. Die katalanische Sprache wurde hernach von der francistischen Zentralregierung verboten, ihre Benutzung mit Gefängnis bestraft. Dies ist nur eines der Kapitel einer sehr problematischen Beziehung zwischen Madrid und Katalonien, deren meist düstere Geschichte wohl bis auf die Reconquista zurückgeht. Die Überheblichkeit des spanischen Oberparagrafenreiters Mariano Rajoy – der noch immer nicht verstanden hat, dass er Präsident nicht einer Nation, sondern eines Vielvölkerstaates ist – fügt dem jetzt leider ein weiteres Kapitel hinzu.
02.10.2017
Ein pralles Theaterwochenende liegt hinter mir. Es führte den Kritiker erst ins Schauspiel Frankfurtk, hernach zum Ballett am Theater Koblenz.
Aufregende Raumsituation mit nach vier Seiten offenem Arena-Spiel, darin mit Wolfram Koch ein enorm starker Titelheld: So gelingt dem Regisseur Jan Bosse mit Shakespeares düsterem Drama „Richard III.“ über den bösesten Bösewicht der Theatergeschichte ein großer, mitreißender Abend. Das ist am Schauspiel Frankfurt ein Spielzeitauftakt nach Maß. Der markiert zugleich den dortigen Beginn der Intendanz von Anselm Weber in der Nachfolge Oliver Reeses, der seinerseits Claus Peymann als Chef des Berliner Ensembles ablöst.
Meine Premierenkritik hier
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Zweite Premiere auf dem Einsatzplan am zurückliegenden Wochenende: „Gefallene Helden„, erste Ballettproduktion am Theater Koblenz in der Saison 2017/18. Das kleine Haus bietet dafür einiges auf: Drei Choreografen, zwei Dirigenten und einen leibhaftigen Komponisten, im Graben die Rheinische Philharmonie in unterschiedlichen Besetzungen, auf der Bühne zwei Schauspieler und natürlich die gesamte Tanzcompagnie. An Abwechslung herrscht kein Mangel bei diesem 135-minütigen Abend aus drei eigenständigen Teilen – zu dem auch die Uraufführung einer fulminanten Auftragskomposition des bei der umjubelten Premiere anwesenden Marijn Simons gehört.
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