Portrait Andreas Pecht

Andreas Pecht – Kulturjournalist i.R.

Analysen, Berichte, Essays, Kolumnen, Kommentare, Kritiken, Reportagen – zu Kultur, Politik und Geistesleben

Von Gefährdungen und Grenzen

ape.Koblenz. Das Ausstellungsjahr hatte im Ludwig Museum Koblenz mit Fotokunst von Stephan Kaluza über die Wechselwirkung zwischen Mensch und Natur begonnen. Die sich anschließende und noch bis 20. Mai laufende Ausstellung „Aqua Shock“ bleibt bei der Fotografie und auch beim Thema: Das Modernemuseum am Deutschen Eck zeigt über zwei Etagen großformatige Aufnahmen des Kanadiers Edward Burtynsky. Davon ist jedes einzelne ein schier gruseliges Faszinosum. Auf den ersten Blick zeigen viele Fotos in wunderbaren Bildkompositionen formschöne, farbintensive Strukturen aus der Natur respektive der vom Menschen umgestalteten Natur: Mäandernde Flussläufe oder deren wurzelartige Verzweigungen im Mündungsdelta, geschwungene Küstenlinien mit davor schillerndem Meeresblau, die geometrische Ästhetik us-amerikanischer Rundfelder inmitten von Trockengebieten, die irritierende Trennschärfe zwischen Wüste auf einer Straßenseite und großflächiger Parzellenbebauung auf der anderen.

Erst das zweite, genaue Hinschauen beantwortet einerseits die Frage „Gemälde oder Fotografie?“ und enthüllt andererseits das Schockierende im Schönen: Was da so hübsch schillert, sind Giftkloaken im oder Ölfilme auf dem Meer; die Delta-Verzweigungen des Colorado River erweisen sich als vertrocknete Überreste einstiger Flusspracht; die Bewässerung von Städten und Feldern in trockenheißen Gegenden treibt erbarmungslosen Raubbau am natürlichen Wasserreservoir…. Der aufmerksame Blick macht die Burtynsky-Ausstellung für die Besucher zum nachgerade erschütternden Erlebnis, weil diese Bilder von Zerstörung zeugen – und dabei doch von einnehmender Ästehtik sind.  

Am 3. Juni eröffnet dann eine Schau mit zeitgenössischer Kunst aus China (bis 22.7.), die sich unter der Ägide von Direktorin Beate Reifenscheid im Koblenzer Ludwig Museum seit Jahren regelmäßig intensiver Pflege erfreut. Diesmal gilt das Augenmerk dem 1964 in Beijing geborenen Shao Fan, einem in China sehr bekannten, hierzulande fast noch nie gesehenen Maler. Er entwickelt klassische Tuschezeichnung und klassisch chinesische Motive wie Affe, Hase, alte Menschen oder Gebirgslandschaften zu fast sphärischen, geheimnisvollen Monumentalgemälden. Es folgt in der zweiten Jahreshälfte eine Einzelausstellung (26.8. bis 21.10.) mit Werken von John Chamberlain. In deren Rahmen werden auch die weniger bekannten fotografischen Experimente des vor allem für seine Skulpturen aus Industrieschrott berühmten US-Amerikaners vorgestellt. Das Jahr endet mit einer weiteren Einzelausstellung, die um zwei Werke von Pierre Soulages aus der museumseigenem Bestand eine Retrospektive um das Schaffen des Franzosen in den 1950ern versammelt.

Zuvor widmet das Ludwig Museum zwei Wochen im Hochsommer (29.7. bis 12.8.) einem  Festival-Projekt unter dem Titel „Confluentes III – Grenzen aufbrechen“. Im Unterschied zu den früheren Ausstellungsprojekten „Confluentes“ und „Confluentes II – Kunst und Wissenschaft“, bei denen jeweils internationale Künstler im Ludwig Museum präsentiert wurden, werden diesmal bewusst sowohl räumliche wie inhaltliche Grenzen überwunden und multiperspektivisch thematisiert. In Kooperation mit Galerie Kallenbach, Garwain e.K. Verlag & Kunstprojekte Kallenbach Koblenz entwickeln mehrere Künstler/innen aus China, Korea, Italien, Deutschland im Museum, nahebei in der Kastorkirche, in einer Gondel der Seilbahn und am Deutschen Eck sowie aus dem Koblenzer Gefängnis heraus unterschiedliche künstlerische Positionen zum Projektmotto.

Ein Höhepunkte des Festivals ist laut Reifenscheid die temporäre farbliche Veränderung des Kaiser-Denkmals am Deutschen Eck, dessen Stufen diese gerade wieder brandaktuell gewordenen Verse des rheinischen Dichters Clemens Brentano aufgeprägt werden: „So weit als die Welt, / So mächtig der Sinn, / So viel Fremde er umfangen hält, / So viel Heimat ist ihm Gewinn.“

Bei jedem unserer Überblicksgespräche alle ein oder zwei Jahre geht die Frage an Beate Reifenscheid:  Wie steht es um das Koblenzer Ludwig Museum? Die Antworten ähneln sich quasi seit es das Museum gibt: „Es ist eben alles auf Kante genäht und knapp. Das Geld ist knapp, das Personal ist knapp.“ Und seit die Ludwigstiftung keinen festen Jahreszuschuss mehr zahlt, sei das Ausstellungsgeschäft noch zäher geworden. „Für jede Ausstellung musst du aufs Neue Sponsoren und Kooperationspartner suchen, Zuschussanträge stellen etc. Dann fragt dich ein großer Leihgeber nach der Höhe des Werbebudgets für die Ausstellung in Koblenz – und bei Nennung von 5000 Euro erntet man mitleidige Blicke.“

Wie für Reifenscheid in Koblenz, so ist Schmalhans Küchenmeister in zahllosen kleineren Museen Deutschlands. Seit gut einem Jahr hat die Direktorin u.a. mit diesem generellen Problem der Museumslandschaft verstärkt zu tun. Denn Anfang 2017 wurde sie zur Präsidentin des deutschen Komitees beim Internationalen Museumsrat ICOM gewählt. Dem Interessensverband gehören weltweit 35 000 Museen und Museumsfachleute an. Das deutsche Komitee ist mit 6000 Mitgliedern zwar eine der stärksten Sektionen, „war aber zuletzt in einen Dornröschenschlaf versunken“, beklagt Reifenscheid. Aus diesem Zustand will sie den Verband während ihrer bis Ende 2019 dauernden Amstzeit holen. Denn es ist viel zu tun. Es sind Netzwerke zu knüpfen, ohne die es bei vielen öffentlichen Museen bald keinen tragfähigen Museumsbetrieb mehr geben wird. „Auch bei uns hier Koblenz funktioniert der Ausstellungsbetrieb auf diesem relativ hohen Niveau letztlich nur dank der vielen guten nationalen und internationalen Kontakte, die wir haben und pflegen. Und den Qualitätsanspruch wollen wir auf jeden Fall halten.“

Ein bisschen vermasselt wurde Reifenscheid ein zügig-effektiver Start in die deutsche ICOM-Arbeit durch die hiesige politische Lage: 2017 war erst Bundestagswahlkampf, dann dauerte es ewig bis zur Regierungsbildung – dringende Gespräche mit Kulturverantwortlichen des Bundes ruhten derweil auf der langen Bank. Noch ungelöst hängt deshalb etwa die Frage in der Luft: Wieviel der 312 Millionen Aufstockung des Bundeskulturetats können/werden bei den Museen vor Ort ankommen? Mehr Bewegung herrscht da vorerst auf dem internationalen ICOM-Parkett. Multinationale Fachtagungen und Netzwerkerei etwa über den Umgang mit kolonialem Erbe, über Zusammenarbeit mit afrikanischen Museen, über Digitalisierung von Museumsbeständen haben stattgefunden oder sind in Vorbereitung. Dazu eine Bestandsaufnahme der Basisbedürfnisse vor allem kleinerer Kunst- und Heimatmuseen, die es in Deutschland zu hunderten gibt: Obwohl sie ein wichtiger Faktor regionaler Idenditätsstiftung und -pflege sind, leiden sehr viele unter gewaltigem Investitionsstau, können an Neuerwerbungen oder Bestandforschung nicht mal denken – oder drohen abzusterben, sobald ihre jetzige ehrenamtliche Führung das Zeitliche segnet. Beate Reifenscheid sei deshalb auch für Kärrnerarbeit im Rahmen von ICOM Erfolg gewünscht.                                                                 Andreas Pecht

Info: www.ludwigmuseum.org

Andreas Pecht

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