ape. Früher gab es in manchen Gegenden diesen Brauch: Hatte jemand ein Auto gekauft, musste er für jedes Rad des Neuerwerbs am Stammtisch eine Runde schmeißen. Das ergab sechs Runden – für vier Räder, ein Ersatzrad und ein Lenkrad. Heute wär‘s billiger, weil die Hersteller ihre Autos, statt mit einem ordentlichen Ersatzrad, meist nur noch mit einem Puste-Kleb-Stopf-Notset ausstatten. Das ist der Zahn der „Moderne“: Korpus und Motor aufgemotzt wie für eine Wüstenexpedition, Technik wie für einen Flug zum Mars, doch alltagspraktisch eher gerüstet wie ein Kinderspielzeug.
Ich mag brauchtümliche Anlässe zum Feiern durchaus. Aber die besagte Räderrunden-Tradition war mir stets befremdlich. Denn Autokauf gilt mir seit jeher nicht als freudiges Ereignis, sondern nur als notwendiges Übel; als Beschaffung von verlässlichem Ersatz für die ausgelutschte vorherige Kiste. So jetzt wieder – nach fünfjähriger Vielfahrerei vom Wohnsitzbüro auf dem Land zu Einsatzorten in diversen Städten. Bahn, Bus? Kann ich hierzulande für meinen eiligen Bedarf, oft zu nachtschlafender Zeit, vergessen. Da geht nix. E-Auto? Anschaffungspreis für meinen Geldbeutel zu hoch, Reichweite für meine Zwecke (noch) zu niedrig. Weshalb ich seit einigen Wochen Besitzer eines neuen Benzin-Kleinwagens bin – und mal wieder die Welt nicht mehr verstehe.
Die Zahl der Knöpfe und Anzeigen hat sich gegenüber dem Vorgänger gleichen Namens mehr als verdoppelt. Vieles ist so überflüssig wie der Drehzahlmesser. Den habe ich noch nie auch nur mit einem Blick gewürdigt. Mit Verlaub: Wer nicht merkt/hört/spürt, dass er im falschen Gang fährt, der sollte das Fahren eh lassen. Regensensor mit Wischwasch-Automatik, Geschwindigkeitsbegrenzer, Start-Stop-Automatik mit partieller Abschaltung, Eco-Funktion mit Anzeige wieviel Gas man gibt … Dieses kleine Auto hält für den Fahrer sage und schreibe 51 Funktionsschalter bereit, das Radio-Paneel gar nicht mitgerechnet. Dazu kommen 13 Zeiger- oder Digitalanzeigen, bei denen sechs durch Knöpfchendrücken weitere Infoebenen öffnen. Gesellen sich noch Navi und Smartphone dazu, wachsen die Ablenkungspotenziale ins Unendliche.
Nehmen wir als Beispiel für viele „Fortschritte“ die Steuerung der Heizung/Lüftung, die beim Vorgänger mit drei simplen Drehschaltern und zwei Druckknöpfen blind zu handhaben war: Sie besteht jetzt aus zwölf Sensortasten, um eine Digitalmattscheibe angeordnet, die dem Nutzer anzeigt, was er mit seinem Tastengeklimper bewirkt. Das wird dann als großer Fortschritt an Komfort gepriesen. Indes: Blinde Betätigung geht nicht mehr, jetzt musst du jedesmal hinschauen – also wegschauen von der Straße.
Es galt im Straßenverkehr mal das Prinzip: Oberste Pflicht jedes Fahrzeuglenkers ist es, seine ganze Aufmerksamkeit dem Verkehr zu widmen. Die Autoindustrie verfolgt nun wohl das gegenteilige Prinzip nach der Devise: Lass du, geschätzter Autofahrer, nur Finger, Blicke, Hirnsynapsen auf dem Parkett der Nebensächlichkeiten tanzen; um Fahrsicherheit kümmern sich unsere Autos selbst. Und Teile der Werbewirtschaft tun das Ihre dazu, spicken Straßenränder und Kreuzungen mit Werbetürmen und digital belebten Plakatwänden – auf dass die Aufmerksamkeit der Autofahrer angezogen und ökonomisch optimal genutzt werde. Ich begreife zwar das profitable Geschäftsmodell hinter diesen lebensgefährlichen Trends. Was daran indes fortschrittlich sein soll, das will mir partout nicht in den Sinn.
Erstabdruck/-veröffentlichung außerhalb dieser website 30. Woche im Juli 2018