ape. Samstag, 13. Oktober 2018, Unterwesterwald. Das Außenthermometer zeigt sommerliche 27 Grad. Rekord. Ich habe eben den Rasen gemäht; seit Mai erstmals wieder, denn zwischenzeitlich wuchs herzlich wenig. Rekord. Es war eine staubige Angelegenheit. Zehn bis zwölf Mahten über den Sommer wären normal. Aber was ist schon noch „normal“ heutzutage? Der Rasen ist ja auch kein Rasen mehr, nichtmal eine Wiese. Der übliche grün-bunte Bodenteppich hierum hat längst Züge einer Trockensteppe angenommen. Rekord. Seit August sprießen zwischen vertrocknetem Gras bloß noch ein paar mickrige Löwenzähne, Disteln und irgendwelche dünnstieligen Giegakel, denen ein Liter Regen pro Quartal offenbar genügt.
Das sieht heroben auf der Höh‘ genauso trostlos aus wie drunten im Tal die Sandbänke im Niedrigrhein und die breiten Geröllfelder an dessen Ufern. Jeder Bier trinkende Besucher des Oktoberfestes dürfte heuer an einem Tag deutlich mehr Flüssigkeit in sich hinein geschüttet haben, als die Wettergötter beispielsweise dem Mittelrhein in den letzten fünf Monaten insgesamt an Regen spendierten. Rekord. Traumsommer oder Katastrophensommer? Die Deutungen fallen naturgemäß und je nach Interessenlage unterschiedlich aus. So oder so: Jedenfalls war es ein Rekordsommer.
Sonnenanbeter und Südlandflair-Fans sind high und satt, die Anderen platt. Obstbauern und Winzer fahren Rekordernten ein. Rekorde auch – allerdings in negativer Richtung – bei Viehfutter, Getreide, Kartoffeln, Waldpilzen. Weshalb manches Nahrungsmittel bald recht teuer werden könnte. Freund Walter steuert zu den allüberall zahlreichen Unterhaltungen über den „Supersommer“ in seelenruhiger Frustriertheit die immergleiche Bemerkung bei: „Gewöhnt euch dran, denn das Unnormale wird nun zum Normalen – wie der SUV zum automobilen Standard und die regierungsamtliche Dieselpolitik zum Maßstab für den Klimaschutz. Man hat es so gewollt, also bitte: Suppe auslöffeln!“
Mittlerweile drehen sich die Plaudereien am Gartenzaun und im Wirtshaus verstärkt um das, was nun kommen mag. Folgt auf den Supersommer ein Superwinter? Und wenn ja, wie wird dieses „super“ aussehen? Womöglich schlendern wir im T-Shirt über Weihnachtsmärkte und schlürfen geeiste Cocktails statt Glühwein. Mag sein, Gummistiefel und Regenschirm sind bis zum Hochsommerbeginn im April gefragter als Schneeschuhe, Winterjacke und Pudelmütze. Vielleicht kommt es aber auch gerade andersrum: Zur Heiligen Nacht ein Blizzard, an Silvester einen Meter Schnee und davor oder hernach vier Wochen 25 Grad minus Dauerfrost.
Professionelle Wetterfrösche sind sich diesbezüglich ebenso uneins wie die Weisheiten diverser Bauernkalender. Die höchste Wahrscheinlichkeit trifft wohl doch auf Walters Prognose zu: „Unter der stetig ansteigenden Kurve der globalen Durchschnittstemperatur wird alles Unnormale ganz normal.“ Wobei die Kategorien normal und unnormal sich als überaus schwammig erweisen, sobald unterschiedliche Generationen um den Tisch sitzen. Für 1950er-Jahrgänge wären Schnee und Eis im Winter normal. Für nach 1990 geborene Mittelrheiner hingegen sind eher Feucht- und Grauzeiten typisch Winter – und mit etwas Schnee vermatschte Straßen der stets unerwartete, unnormale Katastrophenfall.
Wie also wird er, der Winter nach dem Rekordsommer? Walter bläst die Backen auf: „Was weiß denn ich. Schau halt aus dem Fenster, wenn‘s soweit ist. Dann siehst du klar.“
Erstabdruck/-veröffentlichung außerhalb dieser website 43./44. Woche im Oktober 2018