ape. Seit Jahrzehnten bereitet mir die Entwicklung der großen Menschenwelt eher Verdruss denn Freude. Trotzdem darf ich mich glücklich schätzen, und tue das auch. Einer der wichtigsten Faktoren dafür ist beim Blick aus dem Fenster der Schreibstube zu sehen: Da führt gleich hinterm Haus, leicht ansteigend, zwischen Wiesen, Weiden und einigen Obstbäumen ein Feldweg zum Waldrand. Etwa 300 Meter sind zu gehen, dann kann ich eintauchen ins schattige Grün „meines“ Ruhe-Refugiums und zugleich Fitnessraums, kann wählen zwischen halbstündigem Spaziergang oder ein-, zwei-, drei- und mehrstündigem Wandern über verschlungene Pfade. Und wenn‘s mich gelüstet, bleibe ich den Tag dort draußen, verweile sinnend, träumend, gar schlafend am Bachufer, hinter der Forsthütte, auf der versteckten Lichtung.
20 Quadratkilometer mag das zusammenhängende Gebiet umfassen, das ich „meinen Wald“ nenne, obwohl nichts davon mir gehört. Doch seit 40 Jahren streife ich oft mehrmals die Woche darin umher, treffe außer Forstarbeitern selten eine Menschenseele, stehe auf du-und-du mit Fuchs, Hase, Reh, Wildschwein, Milan und Co., spreche manche Buche oder Eiche mit „alter Freund“ an. Im Westen und Osten jeweils von einem Dorf begrenzt, im Norden und Süden von Straßen, quert den Wald nur ein einziger offizieller Wanderweg – den zu meiner Freude fast niemand benutzt.
Mein Verhältnis zu diesem Waldstück ist eng, sehr eng. Denn es trägt auf seine Weise auch zu unserem familiären Lebensunterhalt bei. Von ihm kommt das Premiumbrennholz für den Küchenherd, mit dem wir im Winter das halbe Häuschen heizen und auf dem wir einen Großteil der Speisen kochen. Im Wald sammle ich alljährlich Himbeeren, Brombeeren, Holunder, Hagebutten, Nüsse und Pilze. An seinem Rand ernte ich von vergessenen, sich selbst überlassenen Bäumen halbwilde Kirschen, Äpfel, Birnen, Pflaumen, Mirabellen. Von eigener Hand eingelagert, getrocknet, eingekocht, tiefgefroren, zu Marmelade und Sirup verarbeitet oder Saft gepresst, landen die Früchte rund ums Jahr auf dem Esstisch.
„Wieviel Zeit und Arbeit musst du denn darauf verwenden?“, fragen die Freunde aus der Stadt. Eine Menge. Und würde ich die Zeit stattdessen mit Geldverdienen verbringen, wir könnten all das problemlos fix und fertig kaufen. Aber die Tage draußen als meist einsamer Sucher und Sammler, hernach die gemeinsamen Stunden beim Verarbeiten des Heimgebrachten – es sind meine glücklichsten, in jedem Jahr wieder. Andreas Pecht