17 Uhr, Aufbruch nach Mainz. Auf dem Kritikerdienstplan steht ein Tanzstück am Staatstheater. Die 20 Meter vom Haus zum Auto bergen Gefahren. Ein Dussel hat seine Gartenschuhe genau vor der Haustür geparkt. Ich stolpere drüber und stürze kopfüber ins Kräuterbeet. Der umgeknickte Fuß tut weh, ein Ellbogen ebenfalls, doch man will nicht jämmerlich erscheinen: „Nix passiert“; ab zum Dienst.
Dichter Verkehr auf der A3. Wegen endloser LKW-Kolonnen rechts fahre ich mittig; muss dann mal nach links, um drei überholende Laster zu überholen. Urplötzlich taucht im Rückspiegel ein alter A3-Bekannter auf: der Großkotz im Ferrari. Dessen drängender Fahrstil ist Ausdruck seiner festen Überzeugung, dass die linke Spur nur für ihn gebaut wurde. Der Typ kann mich mal – ich bringe meinen Überholvorgang ungerührt zuende. Seine Rache folgt sogleich: Er gibt Vollstoff, die Krawallkiste röhrt auf wie ein Jumbojet beim Durchstarten. Ich erschrecke schier zu Tode.
Einfahrt in die Landeshauptstadt. Stop an der beampelten Füßgängerkreuzung, warten auf Grün. Bald bleiben alle Fußläufigen stehen … bis auf einen Herrn mittleren Alters. Den Kopf tief übers Smartphone gebeugt, stapft er ungerührt weiter und mir, dem eben Anfahrenden, schnurstracks vor die Kühlerhaube. Vollbremsung meinerseits. Kurze Irritation seinerseits – und sofort zieht er mit stierem Blick aufs Appararätchen weiter seines Weges. Ich breche kopfschüttelnd über dem Lenkrad zusammen, die Fußgänger am Straßenrand lachen lauthals über die hier Wirklichkeit gewordene Smartphone-Karikatur.
Ich bin früh dran, spaziere noch etwas durch die Innenstadt. Auf dem Domplatz wird mein Blick gefangen von einer zauberischen Erscheinung: Da steht versonnen eine junge Frau im luftig-lichten Sommerkleidchen, deren rabenschwarzes Langjahr bis über den Rocksaum hinunter fällt. Was nicht an etwaig gewagter Kürze des Rockes liegt, vielmehr reicht ihre Haarpracht bis zu den Kniekehlen. Und mit einem mal kann ich nicht anders als der Frau maßvoll näherzutreten und begleitet von einer ihre Erscheinung deutenden Handbewegung zu bemerken: „Das schaut sehr hübsch aus.“ Misstrauen prägt ihren ersten Blick. Dann sieht sie den friedvoll lächelnden, harmlosen Weißhaarigen, lächelt ihrerseits, sagt leise „danke“ – und jeder geht wohlgemut seiner Wege.
Hernach ruft der Dienst zum ernsten Tanzstück. Dazu hier noch nichts, das will erst begrübelt sein. Heimfahrt in der Nacht über die A3. LKW reiht sich an LKW, obwohl sämtliche Parkplätze und Raststätten ebenfalls von LKW bis zum Bersten geflutet sind. Daheim schließlich dies: Der Kerl legt sich gegen Mitternacht zu Bette, entschlummert flugs – hockt indes schon kurz nach drei Uhr quicklebendig wieder am Küchentisch und weiß wenig mit sich anzufangen. Montag war, Vollmond ist. Andreas Pecht