ape./Mainz. „Freiheit“ ist die jüngste Produktion von tanzmainz am Staatstheater der Landeshauptstadt benannt. Schon der Titel lässt erwarten, was der 60-minütige Abend auch bestätigt: Das vom israelischen Choreografenpaar Guy Weizmann und Roni Haver kreierte Stück hat eine stark gesellschaftspolitische Dimension. Die schafft sich Ausdruck bereits in der Farbgebung: Bühne, Licht, Kostüme – alles durchgängig in Varianten von Rosa gehalten. Will sagen: Wir heutigen Hiesigen betrachten unser Freiheitsideal meist durch eine rosarote Brille. Vier Frauen und vier Männer demonstrierten dann aber tanzend, spielend, sprechend, singend, dass es ganz so einfach nicht ist mit der Freiheit.
Am Anfang steht die – unausgesprochene – Behauptung: „Ich bin frei.“ Eliana Stragapede bringt sie in einem luftigen, vielgestaltigen Solo zu wunderschöner Barockmusik zum Ausdruck. Die anderen sieben Ensemblemitglieder schauen aus dem Hintergrund zu, lassen sie gewähren. Alle tragen zu diesem Zeitpunkt kurze einheitliche Lederkleidchen in dunklem Rosa: Eine Gesellschaft von Gleichen lässt ihresgleichen individuelle Freiheit. Diese Illusion idealisierender Wahrnehmung währt genau 200 Sekunden.
Dann übernimmt krachende Elektronik das klangliche Regiment; senken sich chic gebogene Sperrgitter auf die Bühne; kriegen die Akteure allesamt das große Zittern, als hätte man sie an eine Stromleitung geklemmt. Jeder kann tun, was er will, allerdings nur im Rahmen der Gitterlandschaft und sofern die Zittrigkeit es zulässt. Freiheit ist gegeben, findet ihre Grenzen aber im System des großen Ganzen und in dessen fortwährend durchschüttelnden Zugriff auf das Individuum.
Auch diese metaphorische Passage dauert, wie alle 16 noch folgenden, nur 200 Sekunden. Jede der kurzen Szenen beleuchtet andere Aspekte von Freiheit respektive deren Begrenzung. Hier gibt es Spannen liebevoller, lebensfreudiger Gemeinschaft, die hernach doch die vermeintlich fremde Asiatin ausgrenzt, jenen unangepassten Jungen mobbt. Da sind Momente, in denen Freiheit unter männlichem wie weiblichem Zampanostreben oder sexuellen Dominanzbegierden verloren geht. Dort zwingen Katastrophen wie Krieg und Umweltzerstörung die Akteure in Schutzanzüge. Fast unmerklich verändern sich Zug um Zug die vom Maison de Faux geschaffenen Kostüme.
Die Einheitlichkeit zu Beginn weicht rasch einer Individualisierung der Outfits sowie deren zugleich fortschreitender Aufrüstung. Zu rosa Röckchen, hippieesken Flatterhosen und Bademänteln gesellen sich Knie- und Ellbogenschoner, Boxhandschuhe, Lawinenjacken, Helme, Körperschilde. Die individuelle Freiheit scheint eine Kampfarena geworden, in der jeder jedem, jeder allen, alle jedem Schmerz zufügen, und die oberste Maxime lautet: Es geht allein um die Durchsetzung meiner Freiheit.
Tänzerisch ruft die Choreografie ein breites Spektrum zeitgenössischer Formen in hohem Tempo auf. Ausdruckstarke Soli, wild verwirbelte Ensembles oder Formationen in höchster Akkuratesse stellen Fragen, erheben Forderungen, stürzen in Zweifel – und ringen sich schlussendlich bei wieder barockem Schönklang zu einem Vorschlag an den modernen Menschen durch: Schütze, bewahre und nutze deine Freiheit, indem du hin und wieder einen kleinen Teil davon aufgibst zugunsten der Freiheit aller. Tanz als sinnliche Performance, die zum intellektuellen Diskurs anregt: In diesem Fall funktioniert das oft verquast endende Unterfangen ziemlich gut. Andreas Pecht