ape. Neben mir auf dem Schreibtisch liegt eine über die vergangenen vier Wochen stetig länger gewordene Stichwortlist. Nein,sie sammelt nicht die vermeintlichen oder tatsächlichen Fehler, die im Zuge der Seuche begangen wurden/werden (etwa die m.E. völlig unzulängliche Unterstützung der freien Kulturschaffenden und Soloselbständigen in RLP). Denn im Großenganzen schlägt sich das Gemeinwesen Deutschlands in dieser ihm gänzlich unvertrauten Extremsituation bemerkenswert wacker und besonnen.
Gewiss ließen sich dazu Gegenbeispiele für Ignoranz, Gleichgültigkeit, Dummheit, Krakeel tausendfach anführen; aber eben nicht millionenfach. Und obwohl die Seuchenkrise ganz verschieden erlebt wird – hier als lebensbedrohlich, da als die Existenz bedrohend, dort nur als nervig und/oder gar als Chance zur persönlichen Besinnung – erkennen 90% der Bevölkerung die Bekämpfung/Eindämmung der Seuche zwecks Lebensrettung als allgemeine Primär- und Solidaraufgabe an.
Was also führt besagte Stichwortliste auf? Sämtliche Faktoren falscher Weichenstellungen in den zurückliegenden ca 30 Jahren, die sich in den jetzigen Tagen der Krise als strukturelle Schwachstellen offenbaren. Da gibt es etwa zwischen mehr als hundert Stichworten eine grundsätzliche Schnittmenge: Fast alle staatlichen, institutionellen und ökonomischen Systeme, die aus Gründen der Kostenreduktion und/oder Profitmaximierung auf reservelose Kante genäht oder auf eingleisig globale Schienen gesetzt worden sind, erweisen sich nun als schwächlich, brüchig, ungenügend.
Über all das und noch viel mehr wird intensiv zu reden und zu streiten sein. Eine bloße Rückkehr zum Status quo ante wird es nicht geben und wäre auch gar nicht wümschenswert. Allerdings hielte ich den unausweichlichen großen Disput über ein Vielzahl nötiger systemischer Veränderungen zum jetzigen Zeitpunkt für verfehlt. Denn noch geht es primär um Leben retten! Weshalb meine Stichwortliste weiter wächst, aber für den Moment stille Gedächtnisstütze bleibt.
Andreas Pecht