ape. Am 9. September eröffnet das Landesmuseum Mainz eine Ausstellung unter dem Titel „Die Kaiser und die Säulen ihrer Macht – Von Karl dem Großen bis Friedrich Barbarossa“. Beträchtliche Aufmerksamkeit dürfte der opulenten Schau trotz coronabedingten Besucherreglements sicher sein. Denn das Thema umfasst fünf Jahrhunderte, die auch eine breitere Öffentlichkeit interessieren, ja faszinieren: das Mittelalter. Mainz ist ein guter Ort dafür, liegt die Stadt doch quasi in der Mitte jener die Pfalz, Rheinhessen sowie das Rheinland bis Köln und Aachen umfassenden Region, die in besagter Herrschaftszeit von Karolingern, Saliern, Staufern ein Kernbereich deutschen König- und Kaisertums war.
Gerade kommen in Mainz Exponate aus allen Himmelsrichtungen an. Darunter Stücke, deren Nennung Geschichtskundigen Glanz in die Augen treibt. Wie der Codex Manesse, die bedeutendste handschriftliche Liedersammlung des Mittelalters. Oder das Armreliquiar Karls des Großen; der Grabstein Jehudas, des einst überragenden jüdischen Gelehrten der Schum-Städte. Oder der Pilastersarkophag, in dem 876 König Ludwig der Deutsche, Enkel Karls des Großen, beigesetzt worden sein soll. Oder die Grabkrone der Kaiserin Gisela, das Ada-Evangeliar, der Egbert Codex – gar die Goldenen Bulle, also das kaiserliche Gesetzbuch von 1356 für das Heilige Römische Reich.
Gut zusammengestellt, präsentiert und erklärt, werden viele dieser Exponate nicht nur eine Augenweide sein, sondern vielschichtige Bilder skizzieren von Politik, Wirtschaft, Lebensart im Laufe der Mittelalterepoche. Bilder, die allerdings oft noch im Fluss sind, die durch jüngere Forschungen ständig ergänzt, modifiziert, korrigiert, ja bisweilen völlig neu gezeichnet werden müssen. Dies wurde jetzt bei einem Vortragsabend im Vorfeldprogramm zur Ausstellung deutlich. Unter dem Titel „Die pfälzische Burgenlandschaft – Vorläufer und Herrschaftssitze rund um die Burg Trifels“ stellten die Speyerer Archäologin Bettina Hünerfauth und die Direktorin Burgen, Schlösser, Alterümer Rheinland-Pfalz, die Historikerin Angela Kaiser-Lahme, jüngere Forschungsentwicklungen zu den Burgen in der Pfalz vor.
Rasch wird klar, die Sache ist kompliziert. Allerhand landläufige Vorstellungen von den einstigen Burgen und dem Leben darin sind eher durch Romane und Filme geprägt. In der Realität indes gibt es für manchen Mauerrest kaum oder keine historischen Dokumentzeugnisse. Umgekehrt tauchen in alten Dokumenten Hinweise auf bedeutende große Burganlagen auf, von denen aber nur ein paar Steine geblieben sind oder gar nichts. Und was man heute an Burgbauten tatsächlich hat, wurde in Lauf der Geschichte mehrfach umgebaut, überbaut oder noch im 20. Jahrhundert aus Unwissenheit oder mutwillig falsch rekonstruiert. Nicht wenige Rekonstruktionen früherer Fachleute erweisen sich unter der Lupe moderner Archäologie und Bauforschung eher als fantasiereiche Spekulation. Weshalb wir von vielen Mittelalterburgen noch immer nicht oder nicht genau wissen, wie sie zu dieser oder jener Zeit aussahen und funktionierten. Von etlichen Gemäuern lässt sich mangels datierbarer Überreste nicht mal sagen, wann sie erbaut wurden.
Bauliche Ungewissheiten gibt es selbst noch hinsichtlich der bekanntesten und historisch wichtigsten unter den pfälzischen Burgen, der Reichsburg Trifels. Während der Zeit der Salier-Kaiser entstanden, wurde sie unter den Staufern quasi als ideelles Herz des Reiches angesehen. Denn auf dem Trifels waren die Reichskleinodien „sicher“ untergebracht, zugleich diente die Burg als Staatsgefängnis für Promis (Richard Löwenherz war dort kurzzeitig eingesperrt). Nicht zuletzt wurde vom Trifels aus eine für das Kaisertum sehr einträgliche Region am Übergang von der Rhein-Ebene zu den Tiefen des Pfälzer Waldes überwacht und verwaltet, die – nach jüngeren Forschungen – am Kreuzungspunkt wichtiger Handelswege von West nach Ost und Nord nach Süd lag.
Man weiß heute eine Menge über die einst wie so viele pfälzische Burgen teils in den Buntsandsteinfels gehauene Trifels. Unter anderem ist völlig sicher, dass die Burg weder zu salischer noch zu staufischer Zeit so aussah wie sie heute aussieht. Da hatten das 19. und 20. Jahrhundert gehörig ihre Finger im Spiel. Mit Unterstützung moderner Luftbildarchäologie und Laser-Bodenscans konnte inzwischen das Rätsel gelöst werden, wo und wie am steilen, felsig zerklüfteten und dicht bewaldeten Burgberg Heerschauen mit bis zu 4000 Mann nebst Rössern und Trosswagen hatten stattfinden können: Der Sockel des Burgberges war zur Stauferzeit eben nicht bewaldet, der heutige Besucherparkplatz und umliegende Areale eine offene Fläche aus Wiesen und Äckern.
Man weiß heute auch, dass die frühmittelalterlichen Adelssitze noch umzäunte Holzbauten inmitten von Siedlungen der Untertanen in der Rhein-Ebene waren. Erst im 11. Jahrhundert separierte sich die Herrschaftsklasse, baute Burgen außerhalb der Orte und möglichst erhöht. Bis zum 12. Jahrhundert hatte sich dann die – sehr teure – Bauweise mit Steinen auf Berggipfeln im Randbereich des Pfälzer Waldes durchgesetzt. Weithin sichtbar fungierten die Burgen nun als Zeichen von Macht und Wohlstand. Im 13. Jahrhundert drängte es den Adel, die bis dahin fast unbesiedelten Kernbereiche des Pfälzer Waldes mittels Burgenbau für sich zu erschließen. Im 15. Jahrhundert zieht es sie mit neuen Bauten wieder hinaus in die Ebene. Viele Jahrhunderte, gar tausend und mehr Jahre währende Kontinuität der Burgenstandorte, ist, anders als vielfach am Mittelrhein, in der Pfalz eher die Ausnahme.
So hören wir denn, nicht ohne Staunen, von der Wissenschaft, dass das Mittelalter quasi noch lebt. Weil es längst nicht ausgeforscht ist, das Bild von dieser Epoche sich ständig verändert. Weshalb man der Mainzer Landesausstellung sowie mannigfachen ergänzenden Präsentationen von der Südpfalz bis weit ins Rheinland mit einiger Spannung entgegensehen kann. Denn kaum etwas ist interessanter als die Wechselwirkung zwischen offenen Fragen und scheinbaren oder tatsächlichen Gewissheiten.
Andreas Pecht