Portrait Andreas Pecht

Andreas Pecht – Kulturjournalist i.R.

Analysen, Berichte, Essays, Kolumnen, Kommentare, Kritiken, Reportagen – zu Kultur, Politik und Geistesleben

Die „stille Zeit“ mal auf andere Art feiern

Die nachfolgende Nr. 187 meiner Monatskolumne „Quergedanken“ hatte Redaktionsschluss einige Tage bevor bekannt wurde, dass Bundesregierung und Länderchefs das Corona-Virus über Weihnachten und bis Neujahr in den Urlaub schicken würden. Der Text geht also noch davon aus, dass heuer die Feiertage – epidemiologisch vernünftiger Weise – nur im allerkleinsten Kreis begangen werden. Denn dass Festivitäten mit zehn Erwachsenen plus Kinderscharen zugelassen würden, war zum Zeitpunkt des Schreibens nicht absehbar und für den Autor auch undenkbar. Gleichwohl muss ja nicht jeder alles ausschöpfen, was erlaubt ist. Insofern behält der Text dann doch ein gutes Quantum Gültigkeit – und sei es als Empfehlung.

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Egal, was ich nun über Adventszeit und Weihnachten in Zeiten der Seuche schreibe: Es wird LeserInnen geben, die sich darüber freuen, und solche, die sich ärgern. Das sogar, obwohl das Häuflein Coronaleugner und Umstürzlerchaoten ausdrücklich nicht Zielgruppe dieses Textes ist. Freund Walter besteht mit unzitierbaren Worten darauf, ich möge erklären, dass wir mit Leuten nichts mehr zu bereden haben, denen 1,3 Millionen Corona-Tote und das Leid auf den Intensivstationen völlig gleichgültig sind. Was hiermit geschehen ist.

Bleiben wir also bei der übergroßen Mehrheit der normalen Bürger. Je nach persönlicher Situation sieht ein Teil von ihnen der „stillen Zeit“ heuer traurig bis beklommen entgegen. Während andere durchaus eine Möglichkeit wittern, Weihnachten nicht auf die gleiche Art erleben zu müssen wie all die Jahre zuvor. Mal Hand aufs Herz: Für gar nicht wenige von uns war Stille in der stillen Zeit doch eher Mangelware. Zumindest teilweise. Oft war die Beschaffung überreichlicher Geschenke in prallvollen Städten und Läden oder aus dem unendlichen Angebot des Internets mehr pflichtgemäße, stressige Tortur als glückseliger Rausch. Und das (klammheimliche) Augenrollen über den feiertäglichen Aufgalopp von oder bei Eltern, Großeltern, Onkeln, Tanten, Kindern, Enkeln, Bestfreunden – es gehörte zu Weihnachten wie Kerzenschein, Plätzchen und ein gleichermaßen mit Rührseligkeiten wie Hau-drauf-Filmen nebst Horrorstreifen überquellendes TV-Programm.

Ja, ja, Walter, ist klar: Dir fehlt das be-sinnliche Happening namens Weihnachtsmarkt mit seiner Süßholzraspelei bei reichlichem Genuss süßgewürzten Heißalkohols. Kann ich irgendwie nachvollziehen. Denn auch ich denke etwas wehmütig an meine traditionelle Übelkeit zurück, alle Jahre wieder hervorgerufen durch mehrfachen Wechselgenuss von Bratwürsten, gebrannten Mandeln und Glühwein am selben Abend. Schön war‘s; doch, doch. Schön war auch immer das munter diskursive Gelage zu Heiligabend an unserer langen Tafel mit dir, den angereisten erwachsenen Kindern plus FreundInnen und dem von mir in der Küche stundenlang zugerichteten Riesenvogel.

Rien ne va plus, Weihnachten 2020. Nichts (davon) geht mehr anno coronae 1. Richtiger gesagt: Vieles davon geht diesmal nicht in gewohnter Form. Es sei denn, man setzt sich gedankenlos über sämtliche Corona-Vorsichtsregeln hinweg. Aber vielleicht fällt nun dem einen oder anderen auch auf, dass womögliche einige Elemente der neuzeitlichen Form, Advent und Weihnachten zu begehen, so furchtbar gut auch wieder nicht waren. Die Zeit diesmal zu verbringen ohne Kauf- oder Glühweinrausch unter Menschenmassen; im allerkleinsten engsten Kreis mit bescheidener, aber liebevoller Beschenkung; in Ruhe, Zurückgezogenheit und Beisichsein: Böte dies nicht auch die Chance, ein Stückchen jener Lebensqualität zurückzugewinnen, die seit Urzeiten die Tage der längsten Nächte zur besonderen, zur stillen, zur so oder so „geweihten“ Zeit machte?

Nachtrag in eigener Sache: Es fällt mir im Traum nicht ein, meine Quergedanken-Kolumne umzubenennen, nur weil ein paar seltsame Leute neuerdings ganz unglaubwürdig, aber dafür sehr laut behaupten, „Querdenker“ zu sein. Meine „Quergedanken“ gibt es seit 2005 und sie haben stets mit tatsächlichem Nachdenken über das reale Universum zu tun. Dabei bleibt‘s. Basta.    

 

     

Andreas Pecht

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