„???“. So spricht Freund Walters Gesichtsausdruck, als er die Überschrift sieht. Intelligent schaut er da nicht drein, eher so doof wie jede/r, wenn einem etwas unbegreiflich ist. Was ja zur Zeit häufig vorkommt. „Welches Dilemma meinst du?“, fragt er. „Schließlich besteht das Menschenleben seit Anbeginn und jüngst ohnehin vorwiegend aus Dilemmata.“ Er verweist auf die Bibel mit den zwei Zwickmühlen, die uns schon zur Schöpfungszeit ins Nest gelegt wurden. Da wäre das kurzsichtige Gebot „Wachset und mehret euch, macht euch die Erde untertan“. Da wäre ferner diese Story von der Rippe des ersten Menschwesens, aus der das Gottwesen ein zweites klonte. Freilich mit Eingriff in die Chromosomen-Struktur, auf dass ein Andergeschlecht entstehe und beide miteinander das Wachstumsgebot in Gang setzen.
„Seither haben wir den Salat: Dilemmata überall“, knurrt der Freund. Etwa dasjenige der vielen Kinder, die nötig seien, um die Rente der Eltern zu sichern, deren Masse aber zugleich den Planeten ausquetscht wie eine Zitrone. Oder der Technikfortschritt, der Probleme lösen soll, die er zuvor schafft. Dann auch noch die Sache des Miteinanders von Adam*innen und Eva*isten. Also dieses Liebes-Ding aus bisweilen himmel-hoch-jauchzend und regelmäßig zu-tode-genervt.
Irgendwie hat das alles auch mit dem „Dilemma“ zu tun, das ich meine, und in dem wir heute bis zum Halse stecken. Im Gefolge des Putinschen Überfalls auf die Ukraine kommt selbst bisher desinteressierten Leuten zu Bewusstsein, dass Verbrauchsminderung das Gebot der Stunde ist. Allerdings verschärft der Ukraine-Konflikt nur eine Notwendigkeit, die übergeordnetes Handlungsgebot unserer gesamten Epoche sein müsste: Sehr viel weniger Verbrauch von allem wofür Energie, Wasser, Luft, Erde und andere Ressourcen benötigt werden.
Doch eben da stoßen wir auf „das ganz große Dilemma“. Denn dummerweise hat der Homo sapiens sich eine Wirtschaftsart zugelegt, für die Verbrauchsreduktion auf breiter Front einer Katastrophe gleichkäme. „Einbruch des Konsumklimas“, „Stillstand des Wachstums“ würden die Ökonomen jammern – und nach Belebung des Wachstums schreien. Etwas anderes fällt ihnen seit Jahrzehnten nicht ein, so als handle es sich beim Prinzip des Wirtschaftswachstums um ein unausweichliches Naturgesetz. In Wahrheit ist vor allem ein echtes Naturgesetz unausweichlich: In der endlichen Sphäre des Planeten Erde kann es kein unendliches Wachstum geben.
Gegen dieses Gesetz helfen auch nicht Greenwashing, vier Milliarden E-Autos, Millionen Hektar Solarpaneele, Windräder so zahlreich wie die trocken gefallenen Kieselsteine im Rhein, Meerwasser-Entsalzung an allen Küsten, Rückgewinnungsanlagen für CO2 in der Größenordnung 500 000 mal sämtliche Hochhäuser New Yorks … oder wovon die Technikgläubigen sich noch alles die Rettung von Klima, Planet und vor allem Wachstumszivilisation versprechen mögen.
Walter hat eine Formel entwickelt: „Solange die Autos immer mehr und größer werden; solange der Flächenverbrauch für Gebäude und Straßen weiter zunimmt; solange die Leute meinen, ein Angebot von 100 Haarwaschmitteln, jedes Jahr ein neues Smartphone und alle paar Monate neue Klamotten zu brauchen – solange gebe ich keinen Pfifferling auf die Zukunft der Zivilisation.“ Nicken meinerseits und Ergänzung: Nicht Wachstum, sondern Reduktion und Umverteilung sind das Gebot der Stunde und der Epoche. Andernfalls (!!!)
Andreas Pecht