ape. „Mitten in der Krise legen Gewerkschaften für Millionen Arbeitnehmer hohe Lohnforderungen vor“. So eine Zeitungsüberschrift heute in der Früh, unter der es um die schon vor einer Weile erhobene 8%-Forderung der IG Metall geht, vor allem um die jetzt von verdi für den Öffentlichen Dienst erhobene Forderung von 10,5% Lohn-/Gehaltszuwachs, mindestens aber 500 Euro. „Mitten in der Krise“ – ja sowas aber auch, wie kann man nur?; das geht doch gar nicht, heizt die Inflation an. Doch, denke ich, das geht; muss gehen. Wann, wenn nicht in Phasen, da der Kaufkraftverlust des Lohnes teils existenzielle Ausmaße annimmt, sind wuchtige Lohnforderungen und -abschlüsse notwendiger, gerechtfertigter?
Zur aktuellen Inflationsentwicklung haben die lohnabhängig Beschäftigten nichts, überhaupt nichts beigetragen. Sollen sie nun auslöffeln, was Märkte, Spekulanten, Politik der Gesellschaft eingebrockt haben? Ja doch, ich weiß, dass manche Unternehmen und Institutionen sich schwer tun werden, neben den Preissteigerungen bei Energie, Rohstoffen, Halbfertigprodukten auch noch Lohnerhöhungen zu verkraften. Mindestens ebenso schwer, vielfach erheblich schwerer, tun sich allerdings Millionen Arbeitnehmer/innen, die enormen Wertverluste ihrer Löhne zu verkraften.
Man müsse die gesamtwirtschaftlich schwierige Lage im Auge haben, heißt es auf der einen Seite. Gewiss, muss man. Aber mindestens ebenso müsste man die jetzt vielfach extrem schwierig werdende Lebenslage der Arbeitnehmer/innen im Auge haben. Ein Interessenskonflikt? Ja, ein grundlegender, objektiver – der seit jeher das kontroverse Aushandeln, zur Not Ausfechten von Lohnerhöhungen und Arbeitsbedingungen unumgänglich macht. Das ist in diesem Wirtschaftssystem nunmal Normalzustand, Krise hin Krise her. Weshalb auch die Existenz starker Gewerkschaften unabdingbar ist.
Übrigens: Es ist völlig richtig, das verdi diesmal größten Nachdruck auf die Forderung nach einem Basisfestgeld (500 Euro) legt. Denn natürlich trifft die Inflation die unteren Lohn-/Gehaltsgruppen am heftigsten. Ich habe noch nie verstanden, warum die Gewerkschaften überhaupt Prozentforderungen aufstellen, die stets per se in den unteren Lohn-/Gehaltsgruppen die niedrigsten, in den oberen Gruppen die höchsten Einkommenszuwächse zur Folge haben.
Andreas Pecht