Portrait Andreas Pecht

Andreas Pecht – Kulturjournalist i.R.

Analysen, Berichte, Essays, Kolumnen, Kommentare, Kritiken, Reportagen – zu Kultur, Politik und Geistesleben

Von der Strohwitwerschaft

Ein kleines Verzählche

ape. Während draußen erstmals in dieser Dunkelsaison Streuwagen ihre Bahnen ziehen, hier einige betulich dahinplätschernde Gedanken zum Einstieg in einen gemütlichen Abend nach völlig ereignislosem, behaglich stillem – also stinkfaul vertrödeltem – Tag im Hause. Ein kleines, aber nicht ganz so kurzes Verzählche.

„Strohwitwer“, oder die seit jeher weniger gebrauchte weibliche Form „Strohwitwe“: Kennt ihr den Begriff noch? Bei den Älteren und Alten dürfte er zumindest im passiven Wortschatz noch abgelegt sein. Den Jüngeren muss man ihn vielleicht erklären, so selten er heute benutzt wird. Also, da geht es nicht um eine traurige Angelegenheit, niemand hat sein Leben ausgehaucht. Das Wort ist ein Verwandter des physikalischen wie auch sprichwörtlich übertragenen „Strohfeuers“ – schnell und heftig entflammt, genauso schnell auch wieder abgebrannt. Daher kommt die Bezeichnung für Mann oder Frau, die vorübergehend, meist nur für wenige Tage, auf die Gegenwart des Ehe- oder Partnerschaftsgesponstes verzichten müssen. Bisweilen hört man auch „dürfen“.

Betrachten wir die männliche Seite dieser Angelegenheit, die Strohwitwerschaft. Denn deren Umstände waren traditionell gewichtiger bis dramatischer als der umgekehrte Fall. Lagebeschreibung: Die Gattin ist fort, auf Verwandtenbesuch oder Freundinnentour oder Pilgerfahrt oder Dienstreise. Zu meiner Eltern Lebzeiten war es noch allgemein üblich, dass die Frau dann vorkocht; für jeden Abwesenheitstag eine Mahlzeit, die sich der Mann nur aufwärmen muss. Denn man ging seinerzeit davon aus, dass die allermeisten Herren am Herd kaum mehr zuwege bringen als Siedewurst (geplatzt) und/oder Spiegeleier (verstochert). Sollte es heute noch Paare geben, bei denen die Verhältnisse ähnlich liegen, wäre das, nun ja,…. Allerdings fiele es auch nicht sonderlich ins Gewicht, in Anbetracht tausenderlei Arten von Lieferservice.

Mein Vater hat übrigens das Vorgekochte stets stillschweigend entsorgt und nach Feierabend lieber das Wirtshaus aufgesucht. Dort genoss er dann Schnitzel mit Bratkartoffeln (Pommes kamen erst später) oder Kochrippchen resp. Bratwürste mit Kraut und Stampf. Manchmal begnügte er sich auch mit Soleiern, sauren Gurken und Frikadellche aus den Tresengläsern. So gut habe ich es nun nicht während meiner heute begonnenen viertägigen Strohwitwerschaft. Denn von hier daheim bis zum nächsten Wirtshaus wären es fußläufig gut fünf Kilometer quer durch den Wald. Und fahren fällt ebenfalls weg: Madame hat das Auto mitgenommen; und bis mich das ÖPNV-Netz heroben im Westerwald irgendwo hinbringt, wäre ich verhungert und mein Leib skelletiert. Aus selbigem Grund schließt sich auch eine alte Strohwitwer-Sitte aus: mal wieder allein ganz ungeniert „auf die Piste“ gehen.

Ansonsten aber ficht mich das Dasein als Strohwitwer nicht im geringsten an. Kochen kann ich selbst, und wie zumindest mein Gaumen meint, bisweilen auch ganz vorzüglich. Einsam? Ach was. Obwohl ich von Natur ein ausgesprochen geselliger Kerl bin, mag ich auch das Alleinsein sehr. Stille im Haus, nicht reden müssen, nichts abstimmen müssen, ohne Ankündigung oder Begründung tun oder lassen, wonach eben der Sinn steht, keine Planung für gar nix. Ein Weilchen ist das eine prima Sache. Wie lange so ein zufriedenes Weilchen anhalten würde, weiß ich nicht. Eine, zwei, drei Wochen sind kein Problem, das wurde über die Jahrzehnte mehrfach erprobt. Länger war ich allerdings noch nie allein und vermute mal, dass so ab der fünften oder sechsten Woche sich allmählich das Bedürfnis nach wieder etwas mehr Leben in der Bude einstellen würde. Dann wäre das Stroh wohl vollends abgefackelt.

Andreas Pecht

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