Sonst fordert Freund Walter von mir für diese Kolumne immer: „Kein Schmus, Tacheles reden!“ Doch diesmal meint er: „Wäre schön, wenn du etwas Hoffnung machen könntest.“ Denn miese Nachrichten, Tiefschläge und schlechte bis ganz üble Prognosen hätte es überreichlich gegeben anno domini 2022. Woher aber Hoffnung und Zuversicht nehmen, ohne zu lügen?
Spontan fallen mir bloß zwei aktuell bessere Nachrichten ein. Da wäre der von den Frauen angeführte Volksaufstand im Iran. Ein Hoffnungsschimmer – verbunden freilich mit Schmerz über die Opfer, die das Zurückschlagen der Priesterdiktatur kostet. Und da wäre das Durchfallen fast aller extremen Trump-Püppchen bei den US-Halbzeitwahlen. Die Amis sind wohl knapp mehrheitlich noch nicht völlig bekloppt. Ach so, die Brasilianer auch nicht.
Sonst aber? Die Suche nach guten News bleibt unergiebig, während das Hirn schlechte in Endlos-Litanei herbeten kann. Ich will sie nicht alle auflisten, der Platz würde sowieso nicht reichen. Weil der Mensch allzu gerne vergisst, verdrängt verharmlost, seien nur ein paar Eckpunkte zur Erinnerung gebracht. Für deren Häufung haben die Analytiker der Weltlage sogar ein neues Wort erfunden: Multikrise.
Der Kalte Krieg steht in neuer Blüte, und der Putin-Imperialismus hat gleich noch einen großen heißen in diesen altertümlichen Unkrautacker gesetzt. Die Inflation marschiert; Lieferkettenengpässe reichen bis in die Apotheke; Personalmangel rundum allüberall; Restpandemie nebst Explosion der Krankenstände; Wahlerfolge von Ultrakonservativen und Neofaschisten in diversen Ecken Europas (ach, Italia!) … Und das sind, im globalen Maßstab betrachtet, nur die „kleineren“ Sorgen — auch wenn diese in der Ukraine tausenden Menschen das Leben kosten und hierzulande die untere Gesellschaftshälfte teils in beträchtliche Nöte bringen.
Von den ganz großen Problemen mögen viele Leute schon gar nichts mehr hören, jedenfalls hier in den sogenannten gemäßigten Breiten. Anderwärts sind hunderte Millionen Menschen bereits sehr handfest betroffen vom Klimawandel. Ein Teil Afrikas verdörrt völlig, weil bei steigender Hitze schon zum vierten Mal in Folge die Regenzeit ausgeblieben ist. Ein anderer Teil des schwarzen Kontinents ersäuft in noch nie dagewesenen Regenmassen, die, wie auch in Teilen Asiens, mit den Ernten gleich die Ackerkrume wegspülen. Das schafft die Bedingungen für gewaltige Hungersnöte und die demnächst größte Völkerwanderung seit Menschengedenken.
2022 war ein Jahr der Rekordrekorde: alpiner und arktischer Eisschmelzerekord, Waldbrandrekord, Dürrerekord, Flutrekord, neuer CO2-Rekord … Derweil ergeht sich der Klimagipfel, wie die meisten nationalen und regionalen Regierungen, in Beweihräucherung einer grundstürzenden Nachhaltigkeitswende – zum St. Nimmerleinstag. Reichlich Absichtserklärungen, spärlich wirkmächtige Taten. Wenn die Klimawende so umständlich, langsam, verworren vor sich geht wie die Aufarbeitung des Ahr-Flut-Versagens, wird die Natur die 3-Grad-Marke erreicht haben während die Menschen noch über Maßnahmen zur Erreichung des 1,5-Grad-Zieles zänken.
Walter schaut trübsinnig: „Du meinst, das wird nix mehr mit dem homo sapiens?“ Antwort: Ich fürchte 2023, 2024, 2025 et tutti quanti hinterdrein werden nicht besser. Weshalb Zamparonis Tagesthemen-Gruß „bleiben sie zuversichtlich“ eher nach Pfeifen im Keller klingt. Was wahr ist, muss gesagt werden. Das Übrige wird sich finden; irgendwie, irgendwas, irgendwann.